Gibraltar rückt näher an Europa heran
Nach dem Brexit wird die britische Kronkolonie zur Schengen-Außengrenze. Mit Vorteilen für beide Seiten.
MADRID. „Das Füttern und Anfassen der Affen ist verboten“, steht auf großen Schildern, die in den berühmten Kalksteinfelsen Gibraltars gerammt wurden. Wildhüter achten darauf, dass sich die Touristen an das Verbot halten. Die Angst ist groß, dass das Coronavirus von Menschen auf die Tiere überspringt, was das Ende der Berberaffen bedeuten könnte.
Ein Aussterben der knapp 300 frei lebenden Affen, die zur größten Touristenattraktion der britischen Kronkolonie am Südzipfel des europäischen Kontinents gehören, wäre für viele Bewohner Gibraltars ein unheilvolles Zeichen. Denn laut einer Legende wird die an Spanien grenzende Minikolonie so lange britisch sein, wie es dort Affen gibt. Das strategisch wichtige Territorium an der Meerenge zwischen Europa und Afrika steht seit mehr als 300 Jahren unter der Souveränität Großbritanniens, wird aber von Spanien beansprucht.
Derzeit sorgt aber nicht der Gesundheitszustand der Affen, sondern der Brexit dafür, dass sich Gibraltar ein Stückchen vom Vereinigten Königreich entfernt: Es soll nach dem EU-Austritt Großbritanniens Teil des Schengenraums werden und damit sogar näher an Europa heranrücken. Wenn alles wie geplant läuft, werden im Laufe dieses Jahres der Grenzzaun und die Ausweiskontrollen zwischen Gibraltar und Spanien verschwinden. Das „britische Überseegebiet“wird somit kurioserweise zur SchengenAußengrenze.
Eine offene Gibraltar-Grenze dürfte Millionen von Tagestouristen, die jedes Jahr den „Affenfelsen“besuchen, das Leben erleichtern. In der Vergangenheit kam es am Grenzübergang immer wieder zu längeren Wartezeiten. Vor allem, wenn politischer Streit zwischen London und Madrid um Gibraltar die Stimmung trübte.
Madrid bezeichnete Gibraltar in der Vergangenheit nicht nur als „besetztes Gebiet“. Spaniens Regierung sah diesen britischen Flecken, der eine Einkaufs- und Niedrigsteueroase ist, auch als Hort des Schmuggels und Steuerbetrugs. Tabak ist dort rund ein Drittel billiger als in Spanien. Auch Benzin und Diesel kann man zu Literpreisen von unter einem Euro deutlich günstiger tanken. Viele europäische Immobilien-, Investment- und Glücksspielunternehmen haben ihren Sitz in diesem Steuerparadies.
Umso überraschender kam das Grundsatzabkommen zu Gibraltars Schengenbeitritt. Ein Schritt, der pragmatische Gründe hat: Eine harte Grenze würde das Ende des Wohlstands auf Gibraltar bedeuten, weil die Halbinsel wirtschaftlich eng mit Südspanien verbunden ist. Die 34.000 Gibraltarer sind auf den freizügigen Grenzverkehr angewiesen. Und rund 15.000 Pendler, die auf spanischer Seite leben und in Gibraltar arbeiten, halten die lokale Wirtschaft in Schwung.
Wegen der großen Abhängigkeit von Spanien stimmten 2016 beim Referendum 96 Prozent der Koloniebewohner gegen den Brexit. Trotzdem waren sie immer sehr stolz darauf, zur britischen Krone zu gehören. In zwei Volksabstimmungen votierten sie gegen einen Anschluss an Spanien.
Die britische Flagge wird auch nach dem Eintritt in die Schengenzone über Gibraltar wehen, versichert der dort regierende Premier Fabian Picardo. Er lobt das Abkommen als Chance für beide Seiten, denn auch die lokale Wirtschaft auf spanischer Seite profitiere vom Deal. Die schwierige Souveränitätsfrage Gibraltars sei bei den Verhandlungen zwischen London, Madrid und seiner Regierung ausgeklammert worden.
Das Grundsatzabkommen sieht vor, dass die Schranken und der Zaun an der Landgrenze zwischen
Spanien und Gibraltar niedergerissen werden. Die Schengen-Außengrenze soll dann in Gibraltars Airport und in den Fährhafen verlegt werden. Dort werden künftig gibraltarische Beamte und Mitglieder der europäischen Frontex-Grenzpolizei den Reiseverkehr überwachen.
Doch noch ist es nicht so weit. Bis alle Fragen geklärt sind, werden Grenzpolizisten beider Seiten weiterhin an der einzigen Verbindungsstraße zwischen Spanien und Gibraltar in ihren Kabinen sitzen und Reisende kontrollieren. Viel zu tun haben sie derzeit aber nicht.