Mehlspeis, Fiaker und kesse Blicke
Im Heimatfilm erfand sich Österreich nach 1945 neu. Eine Onlineschau im Haus der Geschichte zeigt die süße Behauptung politischer Unschuld.
WIEN. Es gab einmal ein Österreich, in dem besonders knusprige Salzstangerl einem jungen, verliebten Mädel die Gunst des g’naschigen Kaisers Franz Joseph bescheren konnten. Es war jenes Österreich, in dem Beziehungen zwischen Adel und dem sogenannten einfachen Volk voll erotischer Verheißung waren und in dem Schnitzelseligkeit und Walzersehnsucht ebenso identitätsstiftend wie ernsthaft waren.
Dieses Österreich existierte nur in Heimatfilmen, die in den Fünfzigerjahren ihre Hochblüte erreichten. Nun widmet sich das Haus der Geschichte Österreich in einer Online-Ausstellung anhand von Filmausschnitten und Texten überblickshaft einigen Filmen und greift damit ein Thema erneut auf, das im Filmarchiv Austria im vergangenen Jahr unter dem Titel „Stunde Null“bereits Ausgangspunkt einer Onlineschau war.
In Filmen wie Arthur Maria Rabenalts „Die Fiakermilli“(1953) um eine Varietékünstlerin in Liebesnöten, Ernst Marischkas „Die Deutschmeister“(1955) mit Romy Schneider oder, auf der anderen Seite, „Der Engel mit der Posaune“(1948) von Karl Hartl ergibt sich dabei ein Bild, das von einem idealisierten Österreich berichtet, das zwar Probleme hat, aber letztlich doch liebenswürdig geblieben ist. „Ich bin doch eine loyale Österreicherin, die sagt doch nicht, was sie denkt“, sagt Paula Wessely da in der Rolle der Jüdin Henriette Alt über den Suizid Kronprinz Rudolfs. Der Film ist insofern programmatisch für die Schau, als Wessely, die zu den prominenten Namen auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“gehörte, sich ihr Renommee damit im Nachkriegsösterreich antifaschistisch zurechtzubiegen versuchte.
Die neue Identität des aus den Trümmern des „Deutschen Reiches“1945 plötzlich unschuldig wiedergeborenen Österreichs war eine fragile Angelegenheit und die Besinnung auf ein erfundenes habsburgerisches Idyll so etwas wie eine Rückkehr zu einem Ausgangspunkt, an dem es in der kollektiven Erinnerung zuletzt einfach gewesen war.
Auch der ewige, international so sensationell erfolgreiche Weihnachtsklassiker „Sissi“(1955) und seine Fortsetzungen passen in dieses Modell, das ein positives Bild des Landes im In- und Ausland bekräftigend prägte und letztlich den Opfermythos unterstützte, wonach ein dermaßen herzig-charmantes kleines Land doch unmöglich am Ausgangspunkt zweier Weltkriege gestanden sein konnte.
Dieses Österreich-Selbstbild funktionierte auch im Ausland, dort später womöglich sogar noch besser, mit der idyllischen „Sound of Music“-Fantasie von 1965, deren süßlicher Grundton hierzulande schon nicht mehr en vogue war.
„Das Thema Selbstbild/Fremdbild kann ohne Klischees und Stereotypen nicht gedacht werden“, schreibt der Filmwissenschafter Franz Grafl in seinem Standardwerk „Imaginiertes Österreich“: „Gilt für Klischees, dass sie bis zum Löschen aus dem Repertoire des Denkens unveränderbar bleiben, stellen Stereotypen veränderbare, zum Denken anregende Modellvorstellungen einer bestimmten nicht sofort fassbaren Realität dar.“
Die Unterscheidung ist gerade bei der Betrachtung von Filmen relevant, die Österreich in den Fünfzigerjahren hervorbringt und in denen das Land in vielen Fällen als unschuldiger Sehnsuchtsort fungiert. Grafl untersucht zwar in seiner Studie das Österreichbild in internationalen Filmen, doch seine Ausgangsfrage gilt auch für heimische Produktionen: Was, wenn in viertausend Jahren ein Konvolut Filmrollen gefunden wird, in denen Österreich vorkommt – „welches Bild können sich zukünftige Generationen von uns machen?“
Zwischen Nostalgie und Opfermythos
Online-Ausstellung: „Österreich als filmischer Sehnsuchtsort. Eine WebAusstellung zum Kino vor 75 Jahren“, Haus der Geschichte Österreich, www.hdgoe.at