Weißer Gott verkauft schwarzes Gold
Blues-Primadonna gegen aufrührerischen Trompeter: „Ma Rainey’s Black Bottom“ist ein Machtspiel ums Recht auf die eigene Stimme.
SALZBURG. Sie wird nicht singen. Jedenfalls noch nicht. Denn wenn Ma Rainey sich schon auf den Weg gemacht hat von Georgia nach Chicago, dann will sie, dass alles läuft, wie sie das will. Immerhin wird sie als „Mutter des Blues“verkauft. Noch hat sie die Macht und lässt Tontechniker und Produzenten und Mitmusiker spuren. Sie ist der Star und sie hat eine Stimme, die sich verkaufen lässt. Ihre Stimme war lange nur zu hören, wenn sie live auftrat. Nun aber soll die Stimme auf Vinyl gepresst werden.
Es ist ein schwül-heißer Tag im Sommer 1927 in einem Tonstudio in der Southside von Chicago. Und bevor sie singt, will Ma Rainey ein Coke, eiskalt. Also wuselt der Tontechniker davon, um ein Coke zu besorgen. Alles wird getan für Ma Rainey, denn ihre Stimme ist Gold.
Der Film „Ma Rainey’s Black Bottom“öffnet einen feinen, hintersinnigen Blick auf ein von Rassismus geprägtes Geschäft, auf die Frühzeit einer Unterhaltungskultur, aus der schließlich eine riesige Popwelt werden sollte.
Vorlage für den Film, der bei Netflix zu sehen ist, war ein Theaterstück, das August Wilson 1982 für den Broadway schrieb. Wilson fragt, was es bedeutet, ein schwarzer Künstler zu sein, und was man erwarten darf, von einem – wie es einer der Bandmusiker ausdrückt – „Gott eines weißen Mannes“. Denn es geht freilich um mehr als um eine Plattenaufnahme. Es geht um grausame Erlebnisse, um Unterdrückung und Demütigung, um Fragen nach Gerechtigkeit und Gleichheit, die hier in den engen Räumen eines Tonstudios auftauchen – auch unter den schwarzen Musikern.
Ma Rainey, die 1886 geboren wurde und ab 1900 in Minstrel- und Vaudeville-Shows aufgetreten war und zum Star wurde, wird vom Geschäftssinn der weißen Produzenten umschmeichelt. Und auch ein anderer ist da, dem allerhand versprochen wird. Er dürfe, heißt es, seine eigenen Songs aufnehmen, nachdem er mit Ma Rainey gearbeitet hat, sich brav ihren Anweisungen unterworfen hat.
Levee heißt der junge Mann. Zunächst erscheint er als redseliger Angeber und ist selbstbewusst überzeugt von sich und seiner Trompeten- und Songschreiberkunst. Doch das Riesenego, mit dem er sich lange Zeit aufplustert, verschwindet, als er erzählt, mit welchem Kindheitstrauma er sich herumschleppt.
Das passiert in einem vom mehreren Monologen, in denen dieser Film mehr Theater als Kino ist. Da scheint in Wortkaskaden die Bitterkeit und Ohnmacht einer Welt durch, in der noch gelyncht wird und in der Levee auch einen weißen
Gott anklagt, der kein Unheil verhindert.
Gespielt wird Levee von Chadwick Boseman. Der Schauspieler war im vergangenen August mit nur 44 Jahren überraschend einem Krebsleiden erlegen. Der Film wird so sein Vermächtnis.
Das liegt auch daran, dass das Setting eng ist. Im Grunde spielt sich alles in ein paar wenigen Räumen im Tonstudio ab.
Das lässt viel Raum für die Konzentration auf schauspielerisches Können. Wie Levee und Ma aneinandergeraten, wie sich auf engem Raum große Konflikte verdichten – erstens, weil Levee Soli spielt, wo Ma keine haben will, zweitens, weil er etwas mit Ma Rainey’s Begleitern anfängt, und drittens wohl auch, weil sie nur Mitmacher, aber keine
Kontrahenten duldet –, lohnt das Zusehen. Boseman hat als Gegenpart in Ma Raineys Rolle Viola Davis. Vieles in diesem Film dreht sich um Machtspiele, deren Protagonisten subtil, aber gewaltig aufeinander krachen – nicht nur, aber vor allem auch wegen der Machtwelt zwischen Schwarz und Weiß.
So erweist sich „Ma Rainey’s Black Bottom“nicht nur als herausragendes Ensemblestück, in dem alle Schauspielerinnen und Schauspieler glänzen können. Der Film erzählt, wie der Blues, eine durch und durch afroamerikanische Errungenschaft, die zum fruchtbaren Feld für die Popkultur werden sollte, ihren Erfindern entrissen wurde. Und zu sehen ist da auch, wie weiblich diese Szene in ihren frühen Jahren war, obwohl in späteren Jahrzehnten die großen Namen lange Zeit, jene von Männern waren. Auf Muddy Waters, Robert Johnson oder Howlin’ Wolf bezogen sich in den 1960er-Jahren Bands wie die Rolling Stones, die auf der Basis von Blues eine neue Rockwelt erfanden. Bessie Smith, Ma Rainey oder auch Mamie Smith waren da so gut wie vergessen. Dabei gelang etwa Mamie Smith 1920 mit der Aufnahme von „Crazy Blues“der erste große Blues-Hit. Sie verkaufte innerhalb eines Jahres rund eine Million Exemplare ihrer Aufnahme. Ihr Erfolg stellte eine Zäsur dar, denn plötzlich war – den freilich weißen Labelbetreibern und Produzenten – klar, dass es offenbar einen Markt für diese Musik gab. Als „Race Music“wurde sie schließlich bis in die 1950er-Jahre hinein verkauft, um schließlich „Rhythm ’n’ Blues“genannt und – mit allen seinen Ablegern – zu einem Riesengeschäft zu werden. Und viel zu lang galt, wie Ma Rainey in einem Satz das menschliche Dilemma hinter dem Geschäft auf den Punkt bringt: „Ich bin ihnen egal. Alles, was sie wollen, ist meine Stimme.“
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