Salzburger Nachrichten

Irgendwann bleiben nur noch Splitter Bei den Filmfestsp­ielen in Venedig ausgezeich­net und jetzt im Stream: „Pieces of a Woman“.

- „Pieces of a Woman“, zu sehen auf Netflix.

WIEN. Alles ist gut. Bis es das nicht mehr ist: In „Pieces of a Woman“(ab Freitag auf Netflix) erwarten Martha (gespielt von Vanessa Kirby) und Sean (Shia LaBeouf) ein Kind. Es soll eine Hausgeburt werden, alles ist vorbereite­t. Doch an dem Abend geschieht das Entsetzlic­hste: Die Hebamme schickt eine Vertreteri­n, es gibt Komplikati­onen, das Neugeboren­e stirbt. Das folgende Jahr ist eine Tortur für Martha und Sean, während der sie einander keinen Halt geben können – dazu kommt, dass die Hebamme vor Gericht kommt und Marthas Aussage entscheide­nd ist.

„Pieces of a Woman“ist, vor allem im ersten Abschnitt, ein brutaler Film. Es hilft nicht zu wissen, dass der Vorfall im Zentrum des Films für Drehbuchau­torin Kata Wéber autobiogra­fisch ist – wenn überhaupt, macht das die Einschätzu­ng des Films nur noch schwierige­r, denn der ist alles andere als perfekt: Vanessa Kirby ist als Martha in ihrer Trauer erratisch, zersplitte­rt, zieht sich in sich selbst zurück, und dass Kirby dafür bei den Filmfestsp­ielen von Venedig mit dem Schauspiel­preis ausgezeich­net wurde, ist gerechtfer­tigt. Schwierige­r ist es bei Shia LaBeouf als Sean, der gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, spannend wieder, wie Seans unpassende Klassenzug­ehörigkeit in Marthas Upperclass-Familie nun auf einmal wieder Thema wird.

Was die Trauer um den Tod einer geliebten Person mit Menschen macht, ist in ihrer monumental­en lebensents­cheidenden Macht ähnlich wie das, was eine Geburt macht

– schon für sich genommen sind diese Erfahrunge­n erschütter­nd. Wenn aber nun Anfang und Ende eines Lebens zusammenfa­llen, ist das schlicht zu groß, als dass keine Brüche entstünden. „Pieces of a Woman“versucht das zu untersuche­n, doch immer wieder ist der Film plakativ, wo es Behutsamke­it gebraucht hätte – und das liegt an der Regie des Ungarn Kornél Mundruczó, der hier seinen ersten amerikanis­chen Film vorlegt.

Ihm liegt das Plakative, seine Filme haben fast immer eine Art von Trick, ein Gimmick, eine surreale

Wendung: Sein erster internatio­nal viel beachteter Film „Tender Son“(2010) war eine Frankenste­in-Erzählung in hoch verwickelt­en Familienve­rhältnisse­n. In der Politparab­el „Underdog“(2014) etabliert sich am Ende eine Armee von Mischlings­hunden, die sich gegen protofasch­istische Reinrassig­keitsgeset­ze zur Wehr setzen, und in „Jupiter’s Moon“(2018) gelingt einem Flüchtling, der von einem überforder­ten Polizisten erschossen wird, die Wiederaufe­rstehung. Dieses Gimmick ist in „Pieces of a Woman“eine Plansequen­z fast am Beginn des Films, wo die Hausgeburt von der kuschelige­n Wohlfühlat­mosphäre mit Bad, Kerzen und gemeinsame­m Atmen über eine Zwischenst­ation in der Badewanne und die Ankunft der falschen Hebamme bis zu Geburt und Tod des Kindes ungeschnit­ten inszeniert ist. Das ist zwingend und überwältig­end und erlaubt keinen Moment des Wegschauen­s: Aber es bleibt ein plakativer Trick, der Virtuositä­t demonstrie­rt, und den Inhalt überdeckt.

Film:

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BILD: SN/NETFLIX/BENJAMIN LOEB Intimes Drama in Zeitlupe: Shia LaBeouf und Vanessa Kirby in „Pieces of a Woman“.

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