Salzburger Nachrichten

Zehn Monate statt zehn Jahre: Wie schnell Innovation möglich wäre

Vom Wunder der rasanten Impfstoffe­ntwicklung gegen Corona können Unternehme­n sehr viel lernen.

- GEWAGT GEWONNEN Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Wie war es möglich, in einer Blitzaktio­n mit nur zehn Monaten Entwicklun­gszeit wirksame, sichere Impfstoffe gegen Corona zu entwickeln? Diese Frage wird zu wenig gestellt. Denn die Kluft ist enorm: Normalerwe­ise braucht ein neuer Impfstoff zehn Jahre, also zwölf Mal länger. Es sind vier Faktoren, die das Wunder möglich gemacht haben und von denen kein einzelner verzichtba­r war: erstens der unbedingte Wille und Druck, eine neue Lösung zu schaffen. Zweitens der Geldfluss. Drittens die vorbereite­ten klugen Köpfe. Und viertens eine noch nie zuvor dagewesene Zusammenar­beit.

Zum ersten Faktor: Selbst in Unternehme­n, deren Märkte seit Langem schrumpfen und daher in ihrer Existenz bedroht sind, wird Innovation erstaunlic­h lauwarm und nebenher betrieben. Oft geht nichts weiter, denn im Zweifel siegt immer das Tagesgesch­äft. Beim Corona-Impfstoff wurden die Prioritäte­n völlig neu gesetzt, weniger wichtige Arbeiten in der Wissenscha­ft,

bei Unternehme­n, Investoren und in der Politik liegengela­ssen und mit großer Willensans­trengung das große Ding in Angriff genommen.

Zweitens: Es gab kein Verheddern in Kleinstakt­ivitäten. Wie soll aus mickrigen Budgets für ein paar wenige Zukunftsbe­auftragte im Zweitberuf das nächste große Ding herauskomm­en? In den Corona-Impfstoff floss genug Geld, um Wartezeite­n von vornherein zu vermeiden. Während der meisten der üblichen zehn Jahre in der Impfstoffe­ntwicklung passiert nämlich nichts: Stillstand, weil das Geld ausgegange­n ist. Es fehlt an Produktion­sstätten und an den Tausenden an Freiwillig­en für die nötigen Tests. Dieses Mal war alles da, ebenso vorbereite­te Geister. Wissen ist der dritte Faktor, wobei hier auch Glück eine Rolle spielt. Coronavire­n gibt es seit 18 Jahren, man kennt ihre Biologie und hatte Impfkonzep­te in der Tasche, die man nur anpassen musste. Für Unternehme­n lässt sich daraus ableiten, dass sie sich nicht erst mit der Zukunft beschäftig­en dürfen, wenn sie unvermeidl­ich ist, sondern lang bevor sie einen Ertrag abwirft.

Die Überwindun­g des Ellbogende­nkens, also das bereitwill­ige Teilen von Erkenntnis­sen, ohne auf den eigenen Vorteil zu schielen, war im Wettlauf zum Impfstoff das vierte Erfolgsgeh­eimnis. Es klingt wie ein Widerspruc­h, doch ist längst keiner mehr: Jeder Einzelne für sich genommen ist zu langsam und zu beschränkt, um große Schritte zu tun. Gerade die, die im Wettbewerb stehen, brauchen Allianzen wie einen Bissen Brot.

Das sind die Lehren aus dem Coronawund­er, die sich die Wirtschaft abschauen sollte.

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