Wie die Coronaimpfung überwacht wird
Ein Experte schildert, wie Nebenwirkungen erfasst werden. Und was passiert, sollten solche in größerem Ausmaß festgestellt werden.
Als die „Salzburger Nachrichten“vor Kurzem dazu aufriefen, Fragen zur Coronaimpfung zu stellen, war es eines der am häufigsten formulierten Anliegen: Wie wird geprüft, ob und in welcher Häufigkeit Nebenwirkungen auftreten?
„Österreich hat ein etabliertes System, um Nebenwirkungen bei Impfungen zu erfassen“, lässt das Gesundheitsministerium dazu auf Anfrage wissen. Konkret könnten zwei Gruppen Nebenwirkungen melden: Zum einen Ärzte, Apotheker und weiteres Gesundheitspersonal – diese seien sogar gesetzlich dazu verpflichtet. Zum anderen könnten seit einigen Jahren auch Patienten selbst Nebenwirkungen von Arzneimitteln melden. Dies ist über den Hausarzt, das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG.GV.AT) und im speziellen Fall der Covid-19-Impfung auch über eine Hotline der AGES (0800-555-62) möglich. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es aber keine App, mit der Nebenwirkungen weitergegeben werden können. In Österreich Geimpfte bekämen vielmehr ein Kärtchen ausgehändigt, auf dem die Meldestellen skizziert seien. Das Ausbleiben der Impfwirkung gelte übrigens auch als Nebenwirkung und sollte ebenfalls weitergetragen werden.
In weiterer Folge laufen die Meldungen im sogenannten EudraVigilance-Register der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zusammen. Experten der EMA prüfen die Informationen, bündeln diese und stellen sie auf
öffentlich zur Verfügung. „Die Nebenwirkungen können in editierter Form also jederzeit nachgelesen werden“, schildert Markus Zeitlinger, Impfstoffexperte und klinischer Pharmakologe an der MedUni Wien. Aktuell sei der erste in der EU zugelassene Coronaimpfstoff, jener von Biontech und Pfizer, zwar noch nicht in der Datenbank zu finden, dies sei aber nur eine Frage der Zeit.
In den USA habe die dortige Arzneimittelbehörde, die FDA, seit Langem ein vergleichbares System aufgebaut, ergänzt Zeitlinger. Vor allem ein Unterschied zur EU sei aber frappierend: In den Vereinigten Staaten dürften auch Juristen Nebenwirkungen für ihre Klienten einmelden – und im Grunde eine zivilrechtliche Klage gegen den Arzt oder den Arzneistoffproduzenten anhängen. „Die Folge ist, dass sich manche Mediziner fast gar nichts mehr trauen.“
Doch zurück zum europäischen System: Welcher Schluss aus den eingemeldeten Nebenwirkungen zu ziehen ist, beurteilt das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC), ein Organ der EMA. Und zwar im Fall der Coronaimpfung nicht wie üblich im Halbjahrestakt, sondern monatlich. „Das PRAC schaut sich die Nebenwirkungen an – und vergleicht sie mit jenen zum Zeitpunkt der Zulassung.“Bestehe begründeter Verdacht, dass sich diese verschlimmert hätten, werde ein Signal ausgegeben, das wiederum Sicherheitsschritte zur Folge habe. Ein solcher könne etwa ein sogenannter roter Handbrief sein, also eine Meldung an sämtliche betroffenen Ärzte. „Im schlimmsten Fall kann das Medikament aber auch wieder vom Markt genommen werden“, sagt Zeitlinger.
Solch einschneidende Maßnahmen seien dann nötig, wenn sich das Risiko-Nutzen-Verhältnis verlagert habe, also die Gefahr der Nebenwirkungen schwerer wiege als der Nutzen der Impfung. Dass bei (Corona-)Vakzinen solche Schritte nötig seien, sei aber unwahrscheinlich. Während die meisten Arzneimittelstudien mit 500 bis 5000 Personen durchgeführt würden, werde ein Impfstoff vor der Zulassung an 20.000 bis 30.000 Personen getestet. Damit sei die Ausgangslage eine „irrsinnig komfortable“. Denn somit seien selbst sehr seltene Nebenwirkungen bereits beobachtbar gewesen – von solchen ist die Rede, wenn diese bei einem von 10.000 Probanden auftreten. Dennoch sei das Prüfsystem darauf ausgerichtet, noch seltenere Nebenwirkungen ausfindig zu machen. Auch die EMA-Experten seien aufgerufen, mit den gemeldeten Informationen besonders akribisch umzugehen. „Es muss sich niemand Sorgen machen, dass da zu viel außen vor gelassen wird“, sagt Zeitlinger.
Zudem gebe es weitere Prüfmaßnahmen, die über das Meldesystem hinausgingen, ergänzt der Experte. Zum einen führen die Unternehmen, die einen Impfstoff entwickelt haben, ihre Studien zum Vakzin fort. Dabei würden die ursprünglichen Probanden noch monatelang beobachtet. „Und zwar nicht, weil man Zweifel hat, ob das Vakzin wirkt – sondern um noch sicherer zu gehen, etwa in Sachen Langzeiteffektivität.“Dazu könnten aus diesen längerfristigen Beobachtungen weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Zum Beispiel, ob Geimpfte ansteckend sein können.
Parallel führen nationale wie internationale Konsortien sogenannte nicht interventionelle Studien durch. Dabei werden Geimpfte systematisch nach den Auswirkungen der Impfung befragt. In Österreich gebe es solch systematische Erhebungen zwar noch nicht, man plane jedoch, derartige zu starten – oder an internationalen Studien teilzunehmen, beschreibt Zeitlinger.
Aber warum nicht einfach bei allen Geimpften nachfragen, wie es ihnen geht? „Das ist logistisch nicht umsetzbar“, ergänzt der Experte. Ein jeder Geimpfte wird aber zumindest direkt nach der Impfung beobachtet. Und zwar 15 Minuten lang, wie Infektiologe Herwig Kollaritsch diese Woche im SN-Gespräch schilderte. Damit liege man sogar über der Vorgabe des Robert-KochInstituts. Dieses habe fünf Minuten ausgegeben, ergänzt Zeitlinger.
„Meldungen sind öffentlich einsehbar.“
Markus Zeitlinger, klinischer Pharmakologe