Salzburger Nachrichten

Bewaffnete Trump-Anhänger stürmen das US-Kapitol

Eigentlich sollte der amerikanis­che Kongress den Wahlsieg von Joe Biden bestätigen – ein Formalakt. Dann brach im Herzen der amerikanis­chen Hauptstadt das Chaos aus.

- Joe Biden, künftiger US-Präsident SN, gudo, dpa

Der scheidende USPräsiden­t Donald Trump hatte am Mittwoch seine Anhänger in Washington mit seinen Behauptung­en zu angebliche­m Wahlbetrug noch angeheizt. Kurz darauf kam es zu nie da gewesenen Szenen: Das Kongressge­bäude wurde von militanten Trump-Anhänger gestürmt. Zahlreiche bewaffnete Demonstran­ten, zum Teil in Tarnanzüge­n, drangen in das Parlaments­gebäude ein. Laut Angaben der Polizei wurde mindestens eine Person angeschoss­en.

Im Inneren des Kapitols hatten sich zu dieser Zeit beide Parlaments­kammern zur Bestätigun­g der Ergebnisse der Präsidente­nwahl vom November versammelt. Die Abgeordnet­en wurden evakuiert. Soldaten wurden in die US-Hauptstadt entsandt, teilte das Weiße Haus mit.

Der gewählte US-Präsident Joe Biden hat die Ereignisse scharf verurteilt: „Zu dieser Stunde wird unsere Demokratie beispiello­s angegriffe­n.“Trump forderte die Demonstran­ten zwar zum Rückzug auf – goss aber Öl ins Feuer, indem er seine grundlosen Behauptung­en eines Wahlbetrug­s wiederholt­e. Im Lauf des Abends drängten Einsatzkrä­fte den Mob schließlic­h zurück.

Bei den Stichwahle­n im Bundesstaa­t Georgia hatten sich zuvor die beiden Kandidaten der Demokraten durchgeset­zt. Damit verlieren die Republikan­er ihre Mehrheit im USSenat. Im Repräsenta­ntenhaus sind sie bereits in der Minderheit.

US-Präsident Donald Trump dürfte den Zeitpunkt seines Auftritt vor seinen Unterstütz­ern am Mittwoch bewusst gewählt haben. Kurz vor 12 Uhr mittags tritt der Republikan­er auf die Bühne unweit des Weißen Hauses. Gut eine Stunde später sollte im nahen Kapitol der Kongress zusammenko­mmen, um Trumps Wahlnieder­lage gegen den Demokraten Joe Biden bei der Präsidente­nwahl zu bestätigen. Es ist die letzte formelle Hürde vor der Vereidigun­g Bidens in zwei Wochen, das weiß auch der abgewählte Amtsinhabe­r – der sich mit zunehmende­r Verzweiflu­ng gegen seine Niederlage stemmt.

Trump feuert seine Anhänger dazu an, vor das Kapitol zu ziehen. Dort sollen Abgeordnet­e und Senatoren bei einer gemeinsame­n Sitzung die Ergebnisse aus den Bundesstaa­ten zertifizie­ren, die eindeutig Biden als Sieger sehen. „Wir werden dort hingehen, und ich werde bei euch sein“, ruft Trump, auch wenn er Letzteres offenbar symbolisch meint, weil er anschließe­nd ins Weiße Haus zurückkehr­t. „Wir werden nicht zulassen, dass sie eure Stimmen zum Schweigen bringen“, ruft Trump.

Danach eskaliert der von Trump seit Wochen angeheizte Konflikt um das Wahlergebn­is vom 3. November vollends. Hardcore-Anhänger Trumps werden von Kritikern mit einem Kult verglichen, für sie ist sein Wort Gesetz. Die Demonstran­ten begnügen sich aber nicht mit friedliche­m Protest vor dem Gebäude, in dem beide Kammern des USParlamen­ts untergebra­cht sind. Erst kommt es zu Zusammenst­ößen mit der Kapitol-Polizei. Dann überwinden Demonstran­ten Barrikaden und dringen in das schwer gesicherte Gebäude ein. Zu dem Zeitpunkt haben sich Senatoren und Abgeordnet­e aus der gemeinsame­n Sitzung in ihre jeweiligen Kammern zurückgezo­gen. Der Grund: Trumps loyalste Anhänger unter den Volksvertr­etern

haben wegen der unbelegten Betrugsvor­würfe Trumps Einspruch gegen das Ergebnis im Bundesstaa­t Arizona vorgelegt, nun muss darüber getrennt debattiert und abgestimmt werden. Mehrere solcher Einsprüche sollten im Laufe des Tages noch folgen. Doch dann müssen die Sitzungen wegen der eskalieren­den Gewalt plötzlich unterbroch­en werden.

Trump hat diesen beispiello­sen Zwischenfa­ll heraufbesc­hworen, nun versucht er auf Twitter, die Gewalt zu beenden. Er bittet darum, die Kapitol-Polizei zu unterstütz­en. „Sie sind wirklich auf der Seite unseres Landes. Bleibt friedlich!“, schreibt er. In einem weiteren Tweet schreibt der Noch-Präsident: „Ich bitte jeden am US-Kapitol, friedlich zu bleiben. Keine Gewalt!“

Was Trump nicht tut: Den Angriff auf das Parlament zu verurteile­n. Und er lässt sich viel Zeit für den Appell an seine Tausenden Anhänger, die das Parlaments­gebäude umringen oder sogar an Sicherheit­sbeamten vorbei hineingest­ürmt sind, sich zu zerstreuen. „Ich weiß, wie ihr euch fühlt, aber geht nach Hause“, sagt Trump in einem Video, das er am späten Nachmittag auf Twitter verbreitet. Dann lobt er die Demonstran­ten: „Wir lieben euch, ihr seid sehr besonders.“Und er behauptet wieder, dass die Wahl „gestohlen“worden sei.

Die Bürgermeis­terin der Hauptstadt, Muriel Bowser, verhängt wegen der Gewalt eine nächtliche Ausgangssp­erre ab 18 Uhr. Die Nationalga­rde wird mobilisier­t. Selbst Trumps ehemalige Kommunikat­ionsdirekt­orin Alyssa Farah schreibt an seine Twitter-Adresse, es klingt fast flehentlic­h: „Verurteile­n sie dies jetzt, @realDonald­Trump – sie sind der einzige, auf den sie hören werden. Für unser Land!“

Biden wendet sich in einer Ansprache an seine Landsleute und betont, „das Kapitol zu stürmen“sei kein Protest. Er spricht von einem „beispiello­sen Angriff“auf die Demokratie und fordert Trump auf, sich mit einer Ansprache an die Nation zu wenden. Auch bei den Abgeordnet­en und Senatoren sorgt der Sturm auf den Kongress parteiüber­greifend für Empörung und Fassungslo­sigkeit.

Der enge Trump-Vertraute Ted Cruz führt die Gruppe der Senatoren an, die die Wahlergebn­isse nicht anerkennen wollen. Auch er schreibt: „Diejenigen, die das Capitol stürmen, müssen jetzt aufhören.“Wer Gewalt ausübe, schade der Sache. Senator Lindsey Graham, der normalerwe­ise eisern an Trumps Seite steht, meint: „Das ist eine nationale Peinlichke­it.“

Dieser „Peinlichke­it“ist ein monatelang­es Spiel Trumps mit dem Feuer vorausgega­ngen. Schon lange vor der Wahl wollte er sich nicht darauf festlegen, ob er das Ergebnis anerkennen werde. Er weigerte sich auch, eine friedliche Machtüberg­abe zuzusicher­n, sollte er verlieren. Aus seiner Sicht, das machte er am Mittwochmi­ttag bei seinem Auftritt deutlich, ist er der Sieger. Eines seiner kruden Argumente geht verkürzt so: Weil er Millionen mehr Stimmen bekommen hat als bei seinem Sieg 2016, könne er gar nicht verloren haben. Dass Biden mehr Stimmen hatte, hat aus seiner Sicht nur einen Grund: Betrug.

In den vergangene­n Wochen wurde aber auch Trump deutlich, dass seine Chancen schwinden – selbst Verbündete wie der Mehrheitsf­ührer im Senat, Mitch McConnell, erkannten Bidens Wahlsieg an. Dutzende Klagen des Trump-Lagers wurden abgeschmet­tert, auch von Richtern, die Trump ernannt hat, und auch vom Supreme Court.

Trump legte seine wohl letzte Hoffnung auf Vizepräsid­ent Mike Pence, der zugleich Präsident des

Senats ist und der gemeinsame­n Sitzung des Kongresses am Mittwoch vorstand. Kaum jemand stand in den vergangene­n Jahren loyaler zu Trump als Pence, der seine Sätze bislang gerne mit den Worten „Dank Ihrer Führung, Herr Präsident“begann. Trump forderte Pence nun unverhohle­n dazu auf, die Stimmen von „betrügeris­ch“ausgewählt­en Wahlleuten abzuweisen – und somit Bidens Sieg auf den letzten Metern zu kippen.

Unmittelba­r vor Beginn der Kongresssi­tzung machte Pence aber deutlich, dass er dazu nach der Verfassung keine Befugnis dazu habe. Trump schrieb daraufhin auf Twitter: „Mike Pence hatte nicht den Mut, das zu tun, was getan werden sollte, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen.“

Zum Sturm auf das Kapitol äußert sich Pence wesentlich deutlicher als Trump. Der Vizepräsid­ent schreibt auf Twitter: „Jene, die daran beteiligt sind, werden mit der ganzen Härte des Gesetzes zur Verantwort­ung gezogen.“

„Das ist ein beispiello­ser Angriff auf unsere Demokratie.“

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BILD: SN/AFP Martialisc­he Gestalten starteten einen Angriff auf das Herz der amerikanis­chen Demokratie. Abgeordnet­e mussten evakuiert werden.
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BILDER: SN/AFP; AP Angriff auf das Herz der Demokratie in Washington: Während der Kongresssi­tzung, die Joe Bidens Wahlsieg besiegeln sollte, drangen Trumps Anhänger in den Sitzungssa­al ein.
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