Hoffen auf die Kraft des Wasserstoffs
Wasserstoff gilt global als Schlüssel zur Klimaneutralität. voestalpine und Verbund erforschen schon praktisch, wie es funktionieren könnte – oder nicht.
WIEN. Wasserstoff ist toll. Farb- und geruchlos, er kommt in fast allen organischen Verbindungen, allen voran Wasser, vor und erzeugt bei der Verbrennung kein klimaschädliches Kohlendioxid. Damit ist er zum Hoffnungsträger bei der weltweiten Suche nach dem Energieträger der Zukunft geworden. Wasserstoff, hergestellt mit Wind-, Sonnen- und Wasserkraft bzw. Biomasse soll Kohle, Öl und Gas als Brennstoff, Antriebsmittel und vor allem Energiespeicher ersetzen. Der Nachteil: Er lässt sich nicht abbauen oder herauspumpen, sondern braucht zur Herstellung viel Energie.
voestalpine-Sprecher Peter Felsbach ist euphorisch und vorsichtig zugleich, wenn er über das neue Wundermittel und dessen möglichen Einsatz in der Stahlerzeugung, spricht. Auf dem Gelände des Stahlund Technologiekonzerns in Linz läuft – in Kooperation mit dem Stromkonzern Verbund, dem Technologieriesen Siemens und mit zwölf Millionen Euro Förderung aus EU-Mitteln – die derzeit weltgrößte Pilotanlage zur Herstellung von „grünem“Wasserstoff zum industriellen Einsatz, Projektname: „H2Future“. Der Testbetrieb sei erfolgreich angelaufen, werde permanent weiterentwickelt und liefere wichtige technische Forschungsergebnisse, sagt Felsbach. Diese Anlage ist erst der Anfang. Der Konzern bewirbt sich aktuell um EU-Fördergelder, um den CO2-Ausstoß in der Stahlerzeugung massiv zu senken. Die notwendige Kofinanzierung Österreichs ist im Oktober im Ministerrat beschlossen worden. Es geht um insgesamt 250 bis 350 Mill. Euro aus Brüssel für maximal zehn Jahre sowie 50 bis 70 Mill. Euro pro Jahr aus dem Bundesbudget ab dem Jahr 2025.
Damit könnte ein Teil der Investitionen der voestalpine für die Umstellung auf CO2-neutrale Stahlproduktion finanziert werden. Zunächst sollen aber bis 2030 mit einem „Hybridkonzept“einzelne Hochöfen durch emissionsärmere Elektroöfen ersetzt werden und so die CO2-Emissionen um rund ein Drittel sinken. Und dann eben bis 2050 die Umstellung auf grünen Wasserstoff gelingen. Nur so könne angesichts der EU-Klimavorgaben weiter Stahl in Europa erzeugt werden, sagt Felsbach.
Die Konzepte liegen auf dem Tisch, das Vorhaben ist aber ambitioniert: voestalpine ist heute für mehr als zehn Prozent der Treibhausgasemissionen Österreichs verantwortlich. Allein in Linz werden sechs Millionen Tonnen Stahl pro Jahr erzeugt. Nach Schätzungen der Branche kostet die Umstellung der Produktion je einer Million Tonnen Stahl auf klimaneutrale Erzeugung eine Mrd. Euro. Und auch der laufende Betrieb kostet dann deutlich mehr.
Zugleich wird noch länger unklar sein, ob Wasserstoff in der Stahlerzeugung tatsächlich Kohle und Koks ersetzen kann. Derzeit sind weder ausreichend Ökostrom zu wettbewerbsfähigen Preisen in Österreich noch die nötigen Leitungen für dessen Transport vorhanden.
Doch auch Nichtstun käme teuer. Die voestalpine hat in den vergangenen 30 Jahren den CO2-Ausstoß auf das bei herkömmlicher Stahlerzeugung mögliche technische Maß reduziert. Dennoch zahlte der Konzern 2019 rund 90 Mill. Euro für Emissionszertifikate – mit steigender Tendenz. Und auch die weltweite Konkurrenz schläft nicht.
Die große Frage ist, woher die Unmengen Wasserstoff kommen werden, die in Zukunft zusätzlich nötig sind. Global setzen fast alle Staaten bei ihren Klimaschutzplänen auf diese Idee. Die EU-Kommission hat Anfang Juli ihre Vorstellungen einer „Wasserstoffstrategie“vorgelegt, jetzt diskutieren die Mitgliedsstaaten darüber.
Bisher wird H2 als Roh- oder Grundstoff etwa in der chemischen Industrie eingesetzt, aber auch in der Halbleiterindustrie. Die Energiemengen zur Erzeugung kommen meist aus fossilem Erdgas, und künftig möglicherweise auch aus Kernkraft. Das wollen etliche EUStaaten, darunter Österreich oder Dänemark, nicht zulassen, andere wie Frankreich oder Ungarn hingegen schon, weil sie darin neue Verwendungsmöglichkeiten für „klimaneutralen“Atomstrom sehen.
Um grünen Wasserstoff herzustellen, braucht es einen massiven Ausbau von Wasserkraftwerken, Windrädern oder Photovoltaikanlagen – beispielsweise in Skandinavien, Süd- oder Südosteuropa. Von dort soll er über Pipelines oder mit Schiffen dorthin gebracht werden, wo er gebraucht wird.
Für die Elektrolyse in Linz liefert der Verbund den Ökostrom. Österreichs größten Elektrizitätskonzern interessiert nicht nur der industrielle Einsatz von H2, sondern auch, wie solche Anlagen als „Puffer“zur Netzstabilisierung genutzt werden können. Denn mit dem Ausbau von Wind- und Sonnenstrom nehmen die Schwankungen zu und werden neue Speichermöglichkeiten benötigt. Dazu wird auch am Standort Mellach, nahe Graz, geforscht.
Der Verbund hat noch mehr Wasserstoffprojekte laufen, darunter „Green Hydrogen @ Blue Danube“, das Ende November in mehreren Mitgliedsstaaten der EU eingereicht wurde. Die Idee: In Donauländern wie Rumänien soll in Windparks grüner Wasserstoff in großem Maßstab erzeugt und über die Donau verschifft werden. In Kooperation mit dem Zementhersteller Lafarge bzw. der OMV-Kunststofftochter Borealis wird in einem weiteren Projekt geprüft, wie aus Wasserstoff und aus im Produktionsprozess abgeschiedenem CO2 synthetische Treibstoffe bzw. Kunststoff hergestellt werden können. „Bei jeder Umwandlung geht Energie verloren“, räumt Rudolf Zauner, Leiter des H2-Programms im Verbund, ein, „darum soll man Wasserstoff dort einsetzen, wo er anderen Energieträgern überlegen ist.“So sehen das auch die Experten im Klimaministerium. Dort gilt Wasserstoff als Champagner unter den Energieträgern – zu wertvoll, um ihn zu verbrennen. Im Verkehr wird er daher in Österreichs Wasserstoffstrategie kaum eine Rolle spielen, heißt es im Ressort von Ministerin Leonore Gewessler. Ebenso wenig soll Wasserstoff zum Heizen oder Kühlen eingesetzt werden, auch wenn die Gasindustrie mit Beimischung ihr Geschäftsmodell zu retten hofft.
Die Regierung will das Strategiepapier demnächst vorlegen. Darin werden, wie in der EU, die Einsatzmöglichkeiten für Wasserstoff nach Wichtigkeit gereiht werden: Zunächst für die Industrie, gefolgt von Schwerstverkehr auf sehr langen Distanzen oder etwa bei Baufahrzeugen sowie im Flug- und Schiffsverkehr – überall dort, wo Strom nicht hinkommt und Batterien nicht reichen. Für die Stahlindustrie wird das Megaprojekt Wasserstoff langfristig standortentscheidend sein, wenn Österreich bis 2040 klimaneutral sein will. So sieht es auch die voestalpine, mit einem wichtigen Zusatz. „Am Ende muss es – auch im internationalen Vergleich – wirtschaftlich sein.“
„Da müssen wir ein dickes Brett bohren.“
Rudolf Zauner, Verbund Solutions