Wie sicher ist das Stromnetz?
Das jüngste Beinahe-Blackout in Europa hat die Stabilität der Versorgung bewiesen. Bis jetzt.
WIEN. Noch ist nicht klar, was das Beinahe-Blackout in Europa am frühen Nachmittag des 8. Jänner wirklich ausgelöst hat. Am Abschlussbericht wird gearbeitet, so viel steht aber laut Klima- und Energieministerin Leonore Gewessler schon fest: Österreichs Stromversorgung war durch den Vorfall – den stärksten Frequenzabfall im europäischen Stromnetz seit 14 Jahren – „zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Wir haben gesehen, die vorgesehenen Sicherheitskonzepte funktionieren“, sagte sie nach einem Treffen mit Gerhard Christiner, Technikvorstand des Übertragungsnetzbetreibers APG, und Energieregulator Wolfgang Urbantschitsch.
Tatsächlich konnte die Überlastung von Leitungen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien und die binnen Sekunden folgende automatische Splittung des europäischen Stromnetzes in eine Nordwestund Südostzone – quasi wie im Simulator gelernt – aufgefangen und durch die Netzreserven – hier vor allem Wasserkraft – ausgeglichen werden. Binnen einer Stunde wurde die Normalsituation, in der Stromerzeugung und Verbrauch einander von Griechenland bis zur Nordseeküste und Portugal zu jedem Zeitpunkt die Waage halten, wiederhergestellt. „Es war eine nicht unkritische Situation, aber durch das Zusammenwirken aller Übertragungsnetzbetreiber wurde sie rasch stabilisiert“, sagt Christiner. Jetzt wird nach der Ursache für den zu großen Stromfluss aus Südosteuropa gesucht. Nicht nur, um aus solchen Ereignissen zu lernen, sondern auch, weil sich mögliche Haftungsfragen stellen. Solche Vorfälle seien nie auszuschließen, zeigten aber, wie wichtig es sei, „sich national und international abzustimmen und sicherzustellen, dass alles richtig gemacht wird“, sagt EControl-Vorstand Urbantschitsch.
Inzwischen wurden die „Flugschreiberdaten“der Netzbetreiber, in denen die genauen Abläufe im Leitungssystem festgehalten sind, analysiert. Nächste Woche wird sich das oberste Gremium der Regulatoren mit dem Vorfall befassen, dann geht der Bericht an die EUKommission zur Veröffentlichung.
Mit dem zunehmenden Ausbau von nicht steuerbarem Wind- und Sonnenstrom hatte die jüngste Krise im Stromnetz nichts zu tun. Die Umstellung der gesamten Versorgung auf Ökostrom und kleinteilige, volatile Erzeugung bis 2030 mache es aber notwendig, die Reserven in allen Bereichen des Stromsystems auszubauen, betont Christiner. Das reiche von allen zusätzlichen Speicherkapazitäten bis zur Digitalisierung und der Einbindung der Industrie. Entscheidend werde sein, das System, das in Zukunft notwendig ist, genau zu modellieren.
Dazu soll der geplante Netzinfrastrukturplan dienen, den die Regierung bis spätestens Anfang nächsten Jahres vorlegen will. Darin sollen erstmals alle Bereiche, von der Strom- über die Gasversorgung bis zur E-Mobilität, kombiniert werden. Insgesamt müssen laut Urbantschitsch in den nächsten zehn Jahren zehn bis 15 Mrd. Euro in das Stromnetz investiert werden. Das Gros werde in die Verteilnetze fließen müssen, die teilweise ans Ende ihrer Lebensdauer kommen.
Österreich habe „eines der besten Stromnetze der Welt“und sei gut vorbereitet auf solche Vorfälle wie Anfang Jänner, sagte Gewessler. Der Umbau auf 100 Prozent CO2-freie Energieversorgung erfordere eine völlige Systemumstellung. Dabei müsse aber gewährleistet sein, dass die Versorgungssicherheit zu jeder Sekunde gegeben ist. Daher sei es wichtig, die Netzreserve flexibler zu machen. Sie wird laut Gewessler bis 2040 oder 2050 unter Einbeziehung der Industrie auf Basis erneuerbarer Energien so sicher funktionieren wie jetzt.
„Versorgung war zu keiner Zeit in Gefahr.“
Leonore Gewessler, Energieministerin