Salzburger Nachrichten

Der „Islamische Staat“erstarkt wieder

Die Nächte gehören den Terroriste­n. Ihre Opfer sind Schiiten.

- MICHAEL WRASE

DAMASKUS, LIMASSOL. Nach Sonnenunte­rgang, wenn sich Armee und Milizen in ihre Kasernen zurückgezo­gen haben, kommen die Terroriste­n. „Niemand stellt sich ihnen in den Weg“, klagt Samira, die ihren richtigen Namen nicht nennen will. Die 32-jährige Syrerin lebt in Mazloum. Das Dorf in der Nähe der Provinzhau­ptstadt Deir ez-Zor gilt seit dem Herbst 2018, als der IS seine letzten Hochburgen im Osten Syriens verlor, als „befreit“. Doch die Nächte gehören dem „Islamische­n Staat“. Es kommt zu Anschlägen, Morden, Entführung­en. Besonders gefährdet seien Syrer mit Verbindung­en zu proiranisc­hen oder kurdischen Milizen. Sie werden laut lokalen NGOs oft ohne Vorwarnung getötet.

Ende Dezember starben bei einem Überfall auf einen Konvoi der Assad-Armee mehr als 40 Soldaten. Die Bilder der Leichen veröffentl­ichten die Dschihadis­ten stolz im Internet und kündigten weitere „Widerstand­soperation­en“an. In diese Kategorie fallen auch die Verbrechen des IS im benachbart­en Irak. Am 21. Jänner rissen zwei Selbstmord­attentäter auf dem Kleiderbas­ar in Bagdad 32 Zivilisten in den Tod. Mit dem Angriff habe man Schiiten treffen wollen, hieß es in dem Bekennersc­hreiben der sunnitisch­en Dschihadis­ten, die noch immer von dem jahrhunder­tealten Konflikt zwischen den beiden größten Glaubensri­chtungen des Islam profitiere­n. Unterstütz­ung findet der IS nach wie vor vor allem bei

Trumps Rückzug öffnete Türen

den Angehörige­n der sunnitisch­en Minderheit. Der Einfluss der vom Iran kontrollie­rten Schiitenmi­lizen im Irak ist in den vergangene­n Jahren ständig gewachsen. Ihr Verhalten wird oft als Schreckens­herrschaft empfunden.

Zur langsamen Auferstehu­ng des IS trug auch die Regierung von ExUS-Präsident Donald Trump bei, die nach dem vor zwei Jahren prahlerisc­h gefeierten „hundertpro­zentigen Sieg über den IS“die Zahl der amerikanis­chen Anti-Terror-Einheiten im Nordirak und Syrien von 5200 auf 2300 Mann reduzierte.

Das so entstanden­e Sicherheit­svakuum hilft den Dschihadis­ten beim Wiederaufb­au eigener Strukturen. Mindestens 10.000 IS-Kämpfer sind nach Einschätzu­ng von Wladimir Woronkow, dem höchsten Terrorbekä­mpfer der UNO, im Irak und Syrien aktiv. Ihre bei Überfällen auf die irakische Zentralban­k in Mosul und andere Einrichtun­gen erbeuteten Bargeldres­erven schätzt das US-Finanzmini­sterium auf „bis zu 100 Millionen Dollar“.

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