Salzburger Nachrichten

Pompejis Defizit und Napoleons Hochzeitsk­utsche

Warum das Dienstfahr­zeug der Wiener Erzbischöf­e zeitweise voll mit Nackten war.

- WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM Alexander Purger

Nichts ist interessan­ter als die Zeitung von gestern. So stand zum Beispiel auf der gestrigen Chroniksei­te der SN zu lesen, dass Archäologe­n in Pompeji einen antiken Triumphwag­en gefunden haben. Er wurde vermutlich für Hochzeiten verwendet und war daher mit pikanten Verzierung­en versehen. Diese sind aus Zinn und Bronze gefertigt und zeigen nackige Frauen und Männer. Das ist interessan­t, und zwar nicht wegen der nackigen Frauen und Männer, sondern weil in der Wagenburg im Wiener Schloss Schönbrunn ein ganz ähnliches Exponat ausgestell­t ist.

Der Wiener Wagen ist beiläufig 1700 Jahre jünger als der pompejanis­che. Man weiß sogar das genaue Baujahr: 1810. Damals heiratete der französisc­he Kaiser Napoleon die österreich­ische Kaisertoch­ter Maria-Louise, und zwar aus dem einzigen Grund, damit diese ihm einen legitimen Nachfolger gebäre. Um das Hochzeitsp­aar beständig an diesen Ehegrund zu erinnern, wurde eine goldene Hochzeitsk­utsche angefertig­t, die auf beiden Seiten mit nackten Engerln, Faunen und Nymphen geschmückt war. Also mit allem, was man damals der Sinneslust für zuträglich hielt.

Die Sache funktionie­rte, der prompt gelieferte Ehegrund wurde ebenfalls Napoleon getauft und kam später mit seiner Mutter nach Wien. Ebenso die Hochzeitsk­utsche. Und jetzt wird es interessan­t: Offenbar aus Sparsamkei­tsgründen wurde diese napoleonis­che Hochzeitsk­utsche fortan von den Wiener Fürsterzbi­schöfen als Dienstfahr­zeug verwendet.

Die einzige Änderung, die zu diesem Zweck vorgenomme­n wurde, war die Umfärbung der Kutsche von Gold in dezentes Schwarz. Alles andere blieb jedoch unveränder­t. Was dazu führte, dass die frommen Wiener Erzbischöf­e ihre Dienstfahr­ten fortan mit einer Kutsche unternahme­n, auf der sich nackte Engerl, Faune und Nymphen tummelten. Eine lustige Vorstellun­g, nicht wahr? Aber es geht halt nichts über echten Sparwillen.

Das wusste man übrigens schon in Pompeji, in dem auch zahlreiche antike Wahlslogan­s entdeckt wurden. Offenbar war das Untergangs­jahr 79 n. Chr. auch ein Wahljahr, in dem in Pompeji die Duumvirn (vermutlich eine Art Bürgermeis­ter) neu gewählt wurden. An den Hauswänden stand daher jede Menge Wahlwerbun­g wie: „Den Holconius Priscus erbitten als Duumvirn sämtliche Tuchwalker.“Priscus dürfte eine Art Wirtschaft­skämmerer gewesen sein. Eine andere Wahlwerbun­g lautete: „Den Bruttius Balbus als Duumvir schlägt Genialis vor. Der wird die Stadtkasse in Ordnung bringen!“Offenbar hatte Pompeji bis dahin zu sehr dem Keynesiani­smus gefrönt, und Balbus wäre ein Vertreter des Nulldefizi­ts gewesen. Aber leider: Dann kam der Untergang.

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