Ein gesunder Darm könnte sich auf Corona auswirken
Je robuster der Darm, desto leichter könnte eine Coronaerkrankung ausfallen, besagt eine Forscherhypothese. Wie der Darm und das Immunsystem zusammenspielen.
Ballaststoffreiche Ernährung kann helfen
Er bietet Heimat für Billionen von Mikroorganismen: Mit mehr als 400 Quadratmetern Oberfläche ist unser Darm das größte menschliche Immunorgan. 80 Prozent aller Immunzellen, die uns vor Bakterien, Viren oder Umweltgiften schützen, befinden sich im Darm. Daher überrascht eine neue Untersuchung nicht: Der Zustand des Darms zum Zeitpunkt einer Coronainfektion könnte darüber mitentscheiden, wie schwer die Erkrankung verlaufen wird. Das legt ein Hypothesenartikel nahe, der vor Kurzem im Fachmagazin „mBio“erschienen ist.
Mittlerweile ist hinreichend bekannt, dass SARS-CoV-2 nicht nur die Atemwege befällt, sondern sich zu einer systemischen Infektion im ganzen Körper ausbreiten kann. Dabei können Organe wie die Nieren, das Herz oder der gesamte MagenDarm-Trakt betroffen sein. Viele Coronapatienten leiden auch unter Übelkeit, Bauchweh oder Durchfall. Eine schlechte Darmgesundheit könne den Covid-19-Verlauf negativ beeinflussen, schreibt Mikrobiologe Heenam Stanley Kim.
Der Hintergrund: Wird die Symbiose im Darm – etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum, Fehlernährung oder Medikamente – gestört, werden nützliche Darmbakterien zurückgedrängt. Der Körper wird anfälliger für Krankheiten. In der Wissenschaft spricht man von einer „Dysbiose“. Die Darmschleimhaut kann dünn oder sogar durchlässig werden und das macht sie offenbar anfällig für SARS-CoV-2. Mikrobiologe Kim weist außerdem darauf hin, dass sich Eintrittspforten für das Coronavirus (ACE2-Rezeptoren) nicht nur in den Atemwegen, sondern auch auf den Epithelzellen des Darms befänden.
Die Beobachtung verwundert Experten nicht: „Bei fast jeder Infektion kommt es zu einem veränderten Darmmikrobiom“, sagt Mikrobiologe Alexander Loy von der Universität Wien. Mit Darmmikrobiom ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen im Verdauungstrakt gemeint.
Dabei stellt sich aber eine typische Henne-Ei-Frage: „Wir können noch nicht genau sagen, ob ein verändertes Darmmikrobiom Ursache oder Folge einer Coronaerkrankung ist“, gibt Loy zu bedenken.
Fakt ist: Bei typischen Corona-Risikoerkrankungen wie etwa Adipositas oder Diabetes ist die Diversität im Darmmikrobiom geringer, im Darm finden sich weniger unterschiedliche Mikroorganismen. „Auch unabhängig von Corona führt das dazu, dass man anfälliger für Krankheiten wird“, sagt Loy.
Dass es eine Verbindung zwischen Darmmilieu und Infektionskrankheiten gibt, ist also unbestritten. Die Mikrobiomforschung steckt aber noch in den Kinderschuhen. Auch, weil sie sehr komplex ist: „Wir bestehen aus mehr als unseren eigenen Genen“, erklärt Mikrobiologe Loy. Jede Mikrobe habe ihr eigenes Genom. „Wir sind auch die Summe all der Mikroben, die in uns leben.“Wie das Mikrobiom aufgebaut sei, könne man sich zum Großteil noch nicht erklären.
In jedem Fall spielen aber direkte Umwelteinflüsse und unsere Lebensweise eine große Rolle: „Vor allem die Frage, wo und wie wir leben, beeinflusst die Zusammensetzung unseres Mikrobioms“, sagt Loy. Hier setzt auch eine weitere Beobachtung im Zusammenhang mit Corona an: Einwohner von Industrieländern hätten oft einen vergleichsweise schweren Coronaverlauf. Das sei unter anderem dadurch zu erklären, dass sie sich von stark verarbeiteten Lebensmitteln ernährten, schreibt Mikrobiologe Kim in seinem Hypothesenpapier.
Für ein diverses Mikrobiom spiele eine ausgewogene Ernährung tatsächlich eine tragende Rolle, das bestätigt auch Experte Loy. Sein Rat: sich faser- und ballaststoffreich ernähren sowie wenig prozessiertes Essen zu sich nehmen. Es gebe aber nicht die eine Ernährung, die man für eine Person empfehlen könne. Es komme immer auf den Kontext und die Lebensweise an.
Auch zu starke Hygiene und ein schneller Griff zu Antibiotika könnten das Darmmikrobiom verarmen lassen. „Deshalb kann ich nur raten, sich neben einer ausgewogenen Ernährung hin und wieder ins Grüne zu wagen. Dass Kinder im Dreck wühlen, kann die Diversität des Mikrobioms in jedem Fall fördern.“