„Die Notbremse zu ziehen ist ein Akt der Selbstliebe“
Es sei eine Stärke, Grenzen des Körpers zu kennen, sagt eine Expertin. Rudolf Anschobers Rücktritt zeuge davon.
Er habe zunehmend Kreislaufprobleme, steigenden Blutdruck, beginnenden Tinnitus. Rudolf Anschober hörte auf die Warnsignale seines Körpers und zog am Dienstag die Notbremse, als er das Amt des Gesundheitsministers zurücklegte. Von einem Burnout sprach er nicht, aber von „erheblichen Mühen“. Ein wichtiger Akt zum richtigen Zeitpunkt?
„Je früher man erkennt, in welchem Stadium der Spirale man sich befindet, desto eher kann man Folgeschäden vermeiden“, sagt Psychotherapeutin und Burn-out-Expertin Nicole Trummer. Rudolf Anschober litt bereits vor neun Jahren an einem Burn-out. „Er hat sehr gut erkannt, worum es hier geht“, sagt Trummer. Der Rücktritt sei eine selbstliebende Handlung. Und vielleicht auch der einzige Schritt zur Vermeidung einer Wiederholung der gesundheitlichen Strapazen. Denn: „Ein Burn-out stellt sich nicht von heute auf morgen ein.“
Burn-out ist ein Erschöpfungssyndrom. Als Beschreibung für das menschliche „Ausgebrannt-Sein“ wurde es 1974 zuerst von dem amerikanischen Psychoanalytiker H. J. Freudenberger verwendet.
Als Warnsignale des Körpers gelten permanentes Stressempfinden, ein zunehmendes Vernachlässigen der eigenen Bedürfnisse, Rückzug oder auch eine innere Leere. „Burnout-Symptome sind bei jedem Menschen sehr unterschiedlich“, sagt Expertin Trummer. Meist kämen Symptome an jenen Stellen des Körpers zu tragen, wo Schwachstellen lägen – häufig im Magen-DarmTrakt oder Bewegungsapparat. Dazu kämen oft Rücken-NackenSchmerzen oder Schlafprobleme. Typisch seien aber auch jene Symptome, die der scheidende Gesundheitsminister Anschober aufweise: Kreislaufprobleme und Tinnitus.
„Wir alle kennen stressige Zeiten. Wenn sie wieder verschwinden, kann sich unser Körper auch wieder erholen“, erklärt Trummer. Bleibe der Stress aber permanent, könne der Körper das nicht mehr kompensieren. Probleme auf der körperlichen, psychischen, geistigen oder sozialen Ebene seien die Folge.
Vor allem in der Pandemie, in der psychische Belastungen auf der Tagesordnung stünden, müsse man auf sich achtgeben. Dabei hilft es, die eigenen Energiequellen zu kennen. „Alles, was an der frischen Luft stattfindet, gibt uns Energie“, sagt Expertin Trummer. Sie rät zu Spaziergängen, Entspannungstechniken oder Zukunftsplänen. Vieles kann auch im Kopf stattfinden – auch bei Fantasiereisen schöpfe man Kraft. „Es geht darum, sich bewusst dafür zu entscheiden, dass man es sich gut gehen lässt.“
Auch ein offener Umgang mit dem eigenen Wohlbefinden hilft. Es sei kein Makel, krank zu sein, sagte Anschober in einer Pressekonferenz am Dienstag. Trummer: „Es ist sogar eine Stärke, die Grenzen des Körpers zu kennen.“