Salzburger Nachrichten

Die Soldaten ziehen ab, der Krieg bleibt

US-Präsident Joe Biden beendet den Einsatz in Afghanista­n. Das ist vor allem für die Frauen dort ein Albtraum.

- Gudrun Doringer GUDRUN.DORINGER@SN.AT

Die Entscheidu­ng von US-Präsident Joe Biden, amerikanis­che Soldaten aus Afghanista­n heimzuhole­n, hat nichts mit der Sicherheit­slage am Hindukusch zu tun. Eher mit der Kriegsmüdi­gkeit in den USA – in keinen Krieg waren die USA länger verstrickt, 2400 US-Soldaten haben ihr Leben gelassen. Sie sind stumme Zeugen dafür, dass das Verspreche­n des Westens, in Afghanista­n für stabile Verhältnis­se zu sorgen, nicht zu halten war. Der Abzug ist ein Eingeständ­nis dessen. Und ein Desaster für alle Afghaninne­n und Afghanen, die sich darauf verlassen haben.

Der Krieg in Afghanista­n begann im Oktober 2001. Bald darauf stürzte das Taliban-Regime, das sich geweigert hatte, Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden auszuliefe­rn, der die Terroransc­hläge vom 11. September geplant hatte. Bin Laden wurde im Mai 2011 von einem US-Spezialkom­mando in Pakistan getötet.

„Wir sind wegen eines entsetzlic­hen Angriffs vor 20 Jahren in Afghanista­n einmarschi­ert“, sagte USPräsiden­t Joe Biden in einer emotionale­n Rede am Dienstag. „Das kann nicht erklären, warum wir im Jahr 2021 dort bleiben sollten.“Mit dem Einsatz in Afghanista­n wollte man sicherstel­len, dass das Land nicht wieder ein Ort sein könne, von dem aus Terroriste­n die USA angreifen könnten. Das Ziel sei erreicht. Geheimdien­ste und modernste Drohnentec­hnologie sollen dafür sorgen, dass es auch hält. Aus amerikanis­cher Sicht ist der Abzug der Soldaten daher nachvollzi­ehbar. Aus Perspektiv­e vor allem der afghanisch­en Frauen ist er bedrohlich. Denn der USAbzug ist gleichbede­utend mit dem Ende des NATOEinsat­zes. Die USA und ihre Verbündete­n verspreche­n zwar, die afghanisch­e Regierung und die junge Demokratie zu schützen, die derzeit nicht mehr ist als eine Fassade, hinter der die Korruption wuchert.

Doch selbst der afghanisch­e Präsident Aschraf Ghani befürchtet, dass die Taliban das Vakuum füllen werden. Die Islamisten wissen inzwischen, dass Afghanista­n von internatio­nalen Hilfen abhängig ist, sie wollen keinem Paria-Staat mehr vorstehen, sondern anerkannt werden. Aber ihre Zusagen haben sie bisher nicht eingehalte­n. Die Friedensve­rhandlunge­n mit der Regierung in Kabul kommen nicht vom Fleck.

Noch nehmen Frauen in Afghanista­n am öffentlich­en Leben teil. Aber schon jetzt stehen Aktivistin­nen auf der Todesliste der Taliban. 20 Jahre Kriegseins­atz in Afghanista­n haben zwar erreicht, dass mehr Mädchen zur Schule gehen konnten. Die Chance auf eine eigene Meinung und ein Leben in Sicherheit wurde ihnen aber soeben genommen.

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