Opernsänger verlieren ihre Jobs
Eineinhalb Jahre vor ihrem Amtsantritt gerät die neue Intendantin der Volksoper in Wien, Lotte de Beer, ins Kreuzfeuer der Kritik.
Eineinhalb Jahre vor ihrem Amtsantritt gerät die neue Intendantin der Volksoper ins Kreuzfeuer der Kritik. 33 Mitglieder des Ensembles bekommen keinen neuen Vertrag.
WIEN. Eigentlich geht der 39-jährigen Opernregisseurin Lotte de Beer der Ruf voraus, auf kooperativen Führungsstil zu setzen und mit paternalistischen Machtklischees zu brechen. Doch nun hat sich im Ensemble der Volksoper eine Empörung zusammengebraut, die im Vorwurf mündet: „Kahlschlag ohne Jobchancen in Pandemiezeiten“. So steht es in einem Schreiben, das den SN ein Wiener Anwalt im Namen eines Mandanten übermittelt hat, der wegen der „Brisanz der Angelegenheit und zum Schutz seiner Person“anonym bleiben wolle. Dieser Mandant wiederum teilte mit, für mehrere Kollegen zu sprechen.
In dem Schreiben wird nicht bloß vereinzelte Ungerechtigkeit bekrittelt, sondern ein grundlegendes Problem: der Mangel an Arbeitnehmerschutz für Ensemblemitglieder. Hinzu kommt, was an Theatern in Deutschland und Österreich – etwa zuletzt am Burgtheater – immer üblicher wird: dass neue Intendanten einen rigorosen Personalwechsel vornehmen, der weit über ihr Büro und einzelne Künstler hinausgeht.
Vor Kurzem hätten für alle Ensemblemitglieder der Volksoper Vorsingen für die neue Intendantin stattgefunden, wird in dem Schreiben berichtet. Einwände, dass fast alle Sänger seit einem Jahr nicht auf der Bühne hätten singen können, also so untrainiert seien wie ein Rennpferd ohne Training auf der Rennbahn, hätten kein Gehör gefunden. „Trotz Warnungen an den Betriebsrat und den Betriebsdirektor (...) fand das Vorsingen statt.“Das Ergebnis: Von 60 Ensemblemitgliedern seien sechs aufgrund alter Verträge unkündbar, zwei seien wegen Schwangerschaft unkündbar, über sechs sei noch nichts entschieden. „Es bleiben 46 Personen, über deren Zukunft entschieden wurde.“Von diesen hätten 13 Personen eine Vertragsverlängerung bekommen.
Hingegen hätten 33 Personen – also knapp 72 Prozent von 46 Künstlern – ihren Vertrag verloren. Zwar seien der Hälfte der „nicht Verlängerten“Abendspielverträge oder Kurzfristengagements in Aussicht gestellt, doch ohne Termine, ohne Anzahl und Art der zu singenden Partie. „Ob ein Abend- oder DreiMonate-Vertrag dazukommt, liegt in keiner Relation zu 14 Monatsgehältern im Jahresvertrag“, heißt es in dem Schreiben, in dem darauf verwiesen wird, dass fünfzehn der „nicht Verlängerten“55 Jahre oder älter seien. Folglich würden einige Künstler wenige Jahre vor der Pension „ins berufliche Out geschickt“.
Daraus werden zwei Fehlentwicklungen abgeleitet: Erstens würden Personen, die seit 21 Jahren an der Volksoper engagiert seien, nun „in die Arbeitslosigkeit geschickt“. Das sei möglich, weil nur an Theatern Kettenarbeitsverträge zulässig seien. „Im Angestelltengesetz sind sie nur begrenzt und mit ausdrücklicher Begründung möglich. Im Theatergesetz sind sie nach wie vor Usus!“, wird kritisiert. Ein entsprechender Ratsbeschluss der EU zu Kettenverträgen im Theatergesetz werde in Österreich ignoriert.
Zweitens gelte für Sänger anderes als für Chor und Orchester. „Kein Orchester- oder Chormitglied muss bei einem Intendanzwechsel wieder vorspielen/singen.“
Die Nicht-Verlängerung von Ensembleverträgen treffe in der Pandemie besonders hart, heißt es weiter. Derzeit seien Bewerbungen woanders unmöglich: Wegen Reisebeschränkungen fänden nirgendwo Vorsingen statt. Und da Verträge an Theatern mindestens ein Jahr im Vorhinein geschlossen würden, hätten viele deutsche Opernhäuser „keinerlei Personalbewegungen“bis Sommer 2022 beschlossen.
Auch der Intendantin hat die Pandemie eine Not beschert: Eigentlich hätte sie vorgehabt, viele Vorstellungen zu besuchen, um alle Sängerinnen und Sänger in mindestens zwei repräsentativen Rollen zu hören und zu sehen, teilte Lotte de Beer den SN mit. Aber im andauernden Lockdown sei dies unmöglich. Um frühzeitig künftige Engagements zu klären und eine etwaige „berufliche Neuausrichtung“zu ermöglichen, habe die Intendantin mit dem Betriebsrat das Vorsingen organisiert, wobei jeder Sänger seine Beiträge habe wählen können, teilt die Volksoper mit.
Unlängst hat Lotte de Beer der APA auf die Frage nach beendeten Verträgen gesagt: „Menschlich ist das schrecklich für mich, solche Entscheidungen sind nie einfach. Aber ich soll ein Haus künstlerisch in die Zukunft führen. Das bedeutet für mich auch eine neue Struktur des Ensembles, das derzeit sehr groß ist. Wir wollen eine neue Balance zwischen Fixverträgen, Residenzverträgen und Gastverträgen schaffen.“Sie wolle für ein einzelnes Projekt „auch eine bestimmte Stimme holen können“.
Laut Volksopernleitung ergeben die Vorsingen von Ende März: Von 64 Sängern, Schauspielern und Kleindarstellern im Ensemble hätten 51 teilgenommen. 23 blieben fix engagiert (davon sieben pragmatisiert); 15 bekämen Residenz- oder Gastverträge. Vier Personen gingen in Pension. Somit müssen vierzehn Ensemblemitglieder bis Mitte 2022 die Volksoper verlassen. Außerdem: Die Intendantin lasse rund 95 Prozent der etwa 550 Dienstverhältnisse unberührt.
„Ich möchte für ein bestimmtes Projekt auch eine bestimmte Stimme holen können.“
Lotte de Beer, Opernintendantin