„Der Staat bringt bei MAN keinen Mehrwert“
Industrie-Präsident Georg Knill sagt, die Politik solle sich heraushalten und sich darauf konzentrieren, gute Rahmenbedingungen zu schaffen.
Knill lobt den Comeback-Plan der Regierung, hat Verständnis für Betriebe, die beim Impfen ausscheren, und ist für 2021 sehr zuversichtlich.
SN: Aktuell wird heiß diskutiert, wie man den MAN-Standort in Steyr retten kann. Welche Lösung halten Sie für die beste? Georg Knill: Ich glaube, dass das Konzept von Unternehmer Siegfried Wolf schlüssig ist, es wurde ja auch vom Aufsichtsrat gutgeheißen. Ich bin sehr verwundert über die Reaktion der Mitarbeiter. Es gilt auch zu hinterfragen, welche Rolle Betriebsrat und Gewerkschaft gespielt haben, gerade im Hinblick darauf, dass SPÖ-Chefin Rendi-Wagner kurz darauf gefordert hat, der Staat solle einspringen.
SN: Die Politik soll also nicht mitspielen, mit Förderungen oder auch mit einer Beteiligung? Mit einer Beteiligung sicher nicht. Über eine Mitarbeiterstiftung, die temporär etwas übernehmen kann, um dem Konzept den finalen Touch zu geben, kann man diskutieren. Was soll der Staat beitragen – er hat kein Produkt, er hat keinen Markt, er bringt keinen Mehrwert. Entscheidend ist, dass die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. Da gibt es klare Nachteile in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Steyr und dem polnischen Standort. Ich plädiere dafür, dass sich die verantwortlichen Personen von Eigentümer, Investor und Belegschaftsvertretung wieder an einen Tisch setzen und versuchen, eine Lösung zu finden.
SN: Wie gut steht es generell um den Wirtschaftsstandort Österreich? Wolf sagt, er könne nur mit niedrigeren Lohnkosten produzieren. Ist das so?
Im speziellen Fall von MAN liegen die Löhne 40 bis teilweise sogar 60 Prozent über dem Kollektivvertragsniveau. Dass das nicht wettbewerbsfähig ist, liegt auf der Hand. Wir haben gute Kollektivverträge in Österreich, der in der Automobilbranche ist sehr gut. Dass jetzt der Steuerzahler für diese Privilegien aufkommen soll, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.
SN: Das führt uns zu dem von der Regierung angekündigten Comeback-Plan für die Wirtschaft. Was halten Sie davon? Mich wundert, dass gesagt wird, da stehe nichts dahinter. Ich begrüße, dass sich die Regierung nach viel zu langer Aufmerksamkeit für die Pandemie wieder der Zukunft widmet. Der Wiederaufbauplan beinhaltet drei wesentliche Aspekte, die schon im Regierungsprogramm angedeutet wurden. Einer ist die Standortattraktivität, etwa durch die Senkung der Körperschaftsteuer. Und es gibt eine klare Ansage, was die digitale und ökologische Transformation angeht. Gerade bei der Digitalisierung hat uns die Pandemie die Schwächen in der Wirtschaft, aber vor allem in der Verwaltung und im Bildungssektor vor Augen geführt. Es geht um wichtige Klimaschutzprojekte und um Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien. Vom 750 Mrd. Euro schweren EU-Recovery-Fund kommen ja 3,5 Mrd. Euro nach Österreich. In den Ländern um uns herum stehen 160 Mrd. Euro bereit. Da tut sich ein großes Potenzial für österreichische Unternehmen auf. Dazu kommen 700 Mill. Euro aus der CoronaArbeitsstiftung, die sinnvoll eingesetzt werden müssen, damit der Arbeitsmarkt neue Dynamik erhält.
SN: Den Fachkräftemangel gab es vor der Krise, den nimmt man wohl in den Aufschwung mit. Was ist da zu tun?
Betriebe können viele offene Stellen nicht besetzen, weil es die nötigen Qualifikationen nicht gibt. Kurzfristig muss man alles tun, um Menschen in Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit zu qualifizieren und fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Aus Sicht der Industrie sind das Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik und alles rund um die Digitalisierung, abgesehen von Bereichen wie der Pflege. Da erwarten wir uns einiges und hoffen auch auf Entlastungen, etwa über geringere Lohnnebenkosten für ältere Dienstnehmer. Bei den Jüngeren haben wir vor allem in den Bundesländern das Problem, dass wir die offenen Stellen nicht besetzen können, wegen der Aufstiegsklauseln in der Schule und zu wenig Mobilität.
Da sind Anreize nötig, um Beschäftigung nachzugehen, man muss aber auch über Pflichten bei der Qualifizierung nachdenken. Beim Arbeitslosengeld kann ich mir ähnlich wie in Dänemark vorstellen, es anfangs zu erhöhen und nach einer gewissen Zeit zu senken.
SN: Die Corona-Kurzarbeit wurde bis Juni verlängert. Wird man sie auch danach noch benötigen?
Es hat auch vor Covid eine Kurzarbeit gegeben, aber die war für Arbeitnehmer und -geber sehr unattraktiv. Kurzarbeit war ein wichtiges Instrument in der Krisenbewältigung. Ich gehe davon aus, dass es Mitte Mai bundesweit weitgehende Öffnungen geben kann. Für einzelne Bereiche wie die Flugbranche könnte es noch Ausnahmen geben, aber grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass es ab Juli keine CoronaKurzarbeit mehr geben, sondern man eine für die Zeit nach Covid einsetzbare Variante finden sollte.
SN: Sind fehlende Fachkräfte ein Flaschenhals für den Aufschwung in der Industrie?
2019 war das definitiv ein Wachstumshemmer, wir hatten aber damals schon 320.000 Arbeitslose, es gibt also auch ein strukturelles Problem. Inzwischen ist in vielen Branchen wieder das Produktionsniveau von 2019 erreicht, aber nicht bei der Beschäftigung. Das ist teils Auslagerungen, einer gewissen Zurückhaltung infolge der Unsicherheit und der Knappheit von Rohstoffen und deren höheren Preisen geschuldet. Es geht um Qualifizierung, kurzund langfristig. Wir müssen von einer Schulpflicht zu einer Bildungspflicht kommen. Es kann nicht sein, dass Jugendliche nach neun Jahren Schule nicht rechnen, schreiben oder sinnerfassend lesen können, zumal die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar in die Arbeitslosigkeit gehen.
SN: Wien und Niederösterreich verlängern den Lockdown
– das trifft vor allem den Handel und die Dienstleister. Bremst das auch die Industrie? Grundsätzlich war die Industrie in der glücklichen Lage, dass wir seit dem ersten Lockdown durcharbeiten konnten. Das war möglich, weil wir gute Sicherheitskonzepte entwickelt und einen Beitrag zur gesamten Teststrategie geleistet haben. Viele Branchen sind gut durch die Krise gekommen. Stark getroffen sind aber etwa die Luftfahrt oder jene Bereiche, die vom Lockdown direkt betroffen sind, wie die Brauereien. Ein offener Punkt sind das Tragen von FFP2-Masken in der Produktion und die von der Arbeitsinspektion vorgesehenen 30-Minuten-Pausen nach 75 Minuten Arbeit. Das ist nicht praktikabel, darüber verhandeln wir noch.
SN: In Betrieben wird regelmäßig viel getestet. Jetzt geht es ums Impfen. Da kommt man nur schleppend voran. Was könnte man da besser machen?
Die einzige Lösung, um aus der Pandemie herauszukommen, ist das Impfen. Wir waren über die Verländerung nicht glücklich, aber es hat keinen Sinn, auf den letzten Metern die Strategie zu ändern. Wir haben immer gefordert, die exportorientierte Industrie in der Phase zwei beim Impfen zu berücksichtigen, darauf wurde bisher nicht reagiert. Andererseits hört man, dass etwa in der Steiermark jeder vierte Impftermin nicht wahrgenommen wird, das bringt den gesamten Plan in Turbulenzen. Dazu kommt, dass die übrig gebliebenen Impfstoffe sehr willkürlich verteilt werden, aber oft nicht an wichtige Bevölkerungsgruppen.
SN: Die Industrie fordert Impfungen für Schlüsselkräfte.
Von wie vielen Personen reden wir da für ganz Österreich?
Zehn Prozent der Belegschaft würden reichen, hier sind wir in einem fünfstelligen Bereich. Ein Vorschlag war ebenfalls, zehn Prozent der nächsten Lieferung des Impfstoffs von Johnson & Johnson, sofern dieser verimpft werden kann, an die Industrie zu geben.
SN: Einige Unternehmen gehen unkonventionelle Wege und lassen Mitarbeiter im Ausland impfen. Was halten Sie davon?
Es handelt sich um eine überschaubare Zahl. Aber ich verstehe das Bedürfnis und habe volles Verständnis, wenn Unternehmen alles tun, um zu verhindern, dass sie Marktanteile und Umsätze verlieren.
SN: Die Weltwirtschaft erholt sich, das sind gute Signale für Österreichs Exporteure.
Wird 2021 das Jahr der Wende für Österreichs Wirtschaft? Absolut. 2021 wird ein Jahr der Hochkonjunktur, in China, den USA, aber auch in Europa. Dank der exportorientierten Industrie werden wir am globalen Aufschwung partizipieren. 2021 halten wir in Österreich drei Prozent Wirtschaftswachstum für möglich, jedenfalls werden wir 2022 die Verluste aus der Krise kompensiert haben. Wenn rasch geimpft wird und die Regierung die Weichen auf Zukunft stellt, sind wir voller Zuversicht.