Kleines Crowdfunding und große Oligarchenmacht
Schwarmfinanzierung rettet die Rechercheplattform Dossier. Für große Medienprojekte reicht diese Macht der vielen noch nicht.
Sie haben es geschafft. Die Macher der vor neun Jahren gegründeten Rechercheplattform Dossier hatten diese Woche einen Hilferuf ausgesandt. Sie brauchten bis Ende April unbedingt 1000 neue Mitglieder – de facto Abonnenten –, um zu überleben. Bereits einen Tag später war das Ziel erreicht. Mittlerweile zahlen mehr als 3500 Menschen zumindest 52 Euro vor allem dafür, dass es weitergeht mit der Arbeit des mehrfach ausgezeichneten Projekts. Es lieferte insbesondere online investigative Recherchen und war das journalistische Rückgrat von Peter Kliens „Gute Nacht Österreich“.
Die Mitglieder erhalten auch ein Print-Magazin, das sich mit Red Bull beschäftigt. Eine frühere Ausgabe setzte sich mit der „Kronen Zeitung“auseinander. Deren Twitter-Team hat nun das damalige Cover mit dem Hinweis geteilt: „Das Recherche-Magazin ,Dossier‘ kämpft ums Überleben. Wer sich für jungen, qualitativen Journalismus interessiert: Hier geht es zum Crowdfunding.“Das ist Größe.
Doch Crowdfunding bleibt mehr Hoffnung als Lösung für Journalismus. Dossier ist auch ein Beispiel für die aktuellen Grenzen dieser digital organisierten Schwarmfinanzierung in Österreich. Nur einen Tag vor dem Hilferuf verkündete die erst drei Jahre alte „Republik“in der Schweiz, sie sei „stets auf der Kippe“gestanden, „vom Crowdfunding bis zum Nahtod letzten Winter“. Trotz einer 3,5 Millionen Franken schweren Anlaufhilfe. Das journalistische Onlineprojekt ist erst jetzt – mit 28.000 Mitgliedern – aus dem Gröbsten raus. Wenn heute der „Wiener Zeitung“für ihren Existenzkampf Crowdfunding nahegelegt wird, wirkt das unrealistisch. Sonst hätte sie längst genügend Abonnenten für ein herkömmliches Geschäftsmodell.
Dieser Weg funktioniert in Österreich bisher nur für kleinere Vorhaben. Dossier litt auch unter übermächtiger Konkurrenz, dem von Dietrich Mateschitz von 2017 bis 2020 finanzierten Addendum. Es konnte vom Start weg regelmäßiger und mit wesentlich mehr Ressourcen „das, was fehlt“(Eigenanspruch), bringen. Gegen dieses Milliardärs-Unterfangen war das Nischenprodukt chancenlos.
Gute Mäzene und böse Oligarchen sind die Antipoden zum Crowdfunding. Das reicht von Amazon-Chef Jeff Bezos („Washington Post“) über den tödlich verunglückten Rüstungsunternehmer Olivier Dassault („Le Figaro“) bis zum Ex-KGB-Agenten Alexander Lebedew („Independent“). Für sie gilt – wie bei Mateschitz: Der Herr gibt, der Herr nimmt. Je stärker sie werden, desto mehr wird das Crowdfunding beflügelt. Denn dort erfordert das Geben und Nehmen zumindest ein „Wir“.
Peter Plaikner