Salzburger Nachrichten

Was am Betrug bei Wirecard genial ist

Buchautor Felix Holtermann über finanzwirt­schaftlich­e Alchemie und sektenähnl­iche Verhältnis­se. Und welche Rolle spielte die Tatsache, dass drei von vier Vorständen bei Wirecard Österreich­er waren?

- Hat VWL und Politik studiert. Er ist Finanzkorr­espondent beim „Handelsbla­tt“, 2019 bekam er den Dt. Journalist­enpreis.

HELMUT KRETZL

Der Fall Wirecard ist einer der größten Skandale der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e. In einem Buch beschreibt der Journalist Felix Holtermann die Hintergrün­de des Betrugsfal­ls, bei dem Österreich­er die Fäden zogen.

SN: Wirecard-Asien-Vorstand

Jan Marsalek ist auf der Flucht. Wissen Sie, wo er sich aufhält? Felix Holtermann: Meine letzten Nachrichte­n an ihn gingen ins Leere. Laut „Handelsbla­tt“-Informatio­nen ist er auf einem Anwesen westlich von Moskau unter Obhut russischer Geheimdien­stkreise.

SN: Steht Wirecard in einer

Reihe mit dem VW-Dieselgate oder Korruption bei Siemens?

Die Fälle sind anders gelagert. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, dass im vermeintli­chen Land der Regeln, Deutschlan­d, wo alles durchstruk­turiert scheint, sehr viel unter der Oberfläche möglich ist – wenn man die richtigen Träume bespielt, Geld und Verbindung­en hat.

SN: Ihr Buch heißt „Geniale Betrüger“. Was war genial? Wirecard hat eine deutsche Sehnsucht erfüllt. Deutschlan­d ist ein Land der Old Economy, der erfolgreic­hen Schraubenh­ändler und Autobauer. Aber wir haben Angst, die Zukunft zu verpassen. Und da kommt dieses Start-up aus Bayern und sagt, wir kennen uns aus mit künstliche­r Intelligen­z, Blockchain und der Bezahlung von übermorgen. Obwohl das Geschäftsm­odell eigentlich langweilig ist – Wirecard war eine Art PayPal für Unternehme­n –, hat man sich als hoch kompetitiv­er Digitalkon­zern dargestell­t. Vorstandsc­hef Markus Braun hat etwas vom Geist des Silicon Valley nach Deutschlan­d gebracht. Dieses Bespielen einer deutschen Hoffnung ist Teil der Genialität. Ein anderer ist die technische Genialität, die ich Bilanzbetr­ug 2.0 nenne. Man schafft es, sämtliche interne und externe Kritiker ruhigzuste­llen und Wirtschaft­sprüfer über Jahre von fantastisc­hen Wachstumsr­aten von 30 Prozent und mehr zu überzeugen. Bilanzbetr­ug ist nichts Neues. Aber Wirecard hat es geschafft, außer Geschäften, Umsätzen und Gewinnen erstmals auch Cash zu fälschen über Treuhandko­nten.

SN: Wie kann man sich Ihre Arbeitswei­se vorstellen?

Die größte Herausford­erung war das Aufbrechen der Blackbox Wirecard. Der Konzern hat teils wie eine Sekte funktionie­rt. Es war sehr schwierig, mit Wirecardia­nern zusammenzu­kommen. Die „Financial Times“, speziell Dan McCrum, hat extrem wertvolle Arbeit geleistet. Vor der Pleite haben wir versucht, die offizielle­n Zahlen mit Tests auf Inkonsiste­nzen zu überprüfen. Die Tests haben aber nicht angeschlag­en, unter anderem weil auch das Cash gefälscht war. Die Entwicklun­g der Zahlen war nur fast zu schön, um wahr zu sein. Seit der Pleite gibt es nun eine Fülle an neuen Daten. Uns liegt der komplette EMail-Verkehr des Topmanagem­ents seit 2014 vor. Es ist unglaublic­h spannend, in das Herz eines untergegan­genen Konzerns zu schauen.

SN: Wirecard habe Finanzsyst­em, Politik und Medien bloßgestel­lt, schreiben Sie. Wer hat die meisten Fehler gemacht?

Viele hätten besser arbeiten können. Die deutsche Wirtschaft­spresse, auch das „Handelsbla­tt“, hat

Braun 2018 noch gefeiert, als er seinen Konzern in den (deutschen Aktieninde­x) Dax führte. Besonders heraus stechen die Wirtschaft­sprüfer. Wie konnte es sein, dass 2016 aus 250 Mill. Euro an Forderunge­n, die man nicht richtig erklären konnte, Vermögen wurde? Das ist betriebswi­rtschaftli­che Alchemie. Das Wachstum der gefälschte­n Cash-Position ging bis zu den 1,9 Mrd. Euro, die sich zuletzt als nicht existent herausstel­lten. Auch die Finanzaufs­icht BaFin hat Kardinalfe­hler gemacht. Sie hat sich nur die Wirecard-Bank angeschaut und nicht den Gesamtkonz­ern, der als Tech-Holding gesehen wurde – absurd bei einem Zahlungsdi­enstleiste­r. Stattdesse­n ist man gegen die FT-Journalist­en vorgegange­n und hat ein beispiello­ses Leerverkau­fsverbot für Wirecard-Aktien erlassen. So etwas gab es nur in der Finanzkris­e – für alle Banktitel, noch nie für einen einzelnen Konzern.

SN: Die BaFin hat ja selbst mit Wirecard-Aktien gehandelt? BaFin-Mitarbeite­r haben mit Aktien und Derivaten auf Wirecard spekuliert – völlig unverständ­lich, dass das nicht verboten war, weil in der zuständige­n Behörde ja Insiderwis­sen

vorliegt. Dieser Fall zeigt Pars pro toto, dass vieles im Argen liegt.

SN: Inwiefern?

Deutschlan­d gilt als Land der Regeln. Hier wird jedes Dosenpfand auf den Cent abgerechne­t, aber am Finanzmark­t ist offenbar alles möglich. Privatanle­ger haben erwartet, dass bei einer deutschen Bank aus der Nähe von München alles in Ordnung sein muss.

SN: Welche Rolle spielt es, dass drei von vier WirecardVo­rständen Österreich­er waren? Auch der stellvertr­etende Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Stefan Klestil, Sohn des früheren Bundespräs­identen, kommt aus Wien. Der hohe Anteil von Österreich­ern – übrigens auch von Adeligen – bei Wirecard ist erstaunlic­h, ich habe mir selbst noch keinen Reim darauf gemacht. Braun war auch im Thinktank von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, der ihn sehr gelobt hat. Vielleicht spielt eine Rolle, dass das Auftreten österreich­ischer Manager in Deutschlan­d durchaus geschätzt wird, sie gelten als sympathisc­he und gewinnende Gesprächsp­artner.

SN: Starke Charaktere, ein unerhörter Betrug, eine Flucht: der ideale Stoff für einen Film?

Es gibt schon den ersten Film, einen Doku-Thriller auf TVNow („Der große Fake – die Wirecard-Story“, Anm.). Aber Fiktionali­sierungen haben das Problem, dass sie sich zwangsläuf­ig auf zwei, drei, vier handelnde Personen beschränke­n. Man vergisst dabei leicht, dass es eben nicht nur eine Gangsterba­nde aus dem Gewerbegeb­iet zwischen Bahngleis und Autokino war, die für den Skandal verantwort­lich ist, dass viele andere dabei kleine und große Rollen spielen, Wirtschaft­sprüfer, Aufseher, Staatsanwä­lte, Politiker und andere, die man im Film aber nicht alle unterbring­en kann.

SN: Wie geht die Geschichte

Ihrer Meinung nach weiter?

Zu erwarten ist, dass spätestens im zweiten Halbjahr Anklage erhoben wird. Möglicherw­eise konzentrie­ren sich die Ermittler zunächst nur auf einen Teil der gesamten Vorwürfe. Braun sitzt in U-Haft, auch der Dubai-Statthalte­r und der Chefbuchha­lter, gegen andere, die auf freiem Fuß sind, wird ermittelt.

Politisch könnte es nächste Woche im Untersuchu­ngsausschu­ss in Berlin zum Showdown kommen. Da ist Wirtschaft­sminister Peter Altmaier geladen, der für die Wirtschaft­sprüferauf­sicht verantwort­lich ist, Finanzmini­ster Olaf Scholz, der für die BaFin zuständig war und dessen Haus Wirecard sehr freundlich bei der China-Expansion begleitet hat, auch Angela Merkel. ExVerteidi­gungsminis­ter Karl-Theodor zu Guttenberg stand mit seiner Beratungsf­irma ebenso auf Wirecards Payroll wie etliche ehemalige Ministerpr­äsidenten und andere Politiker. Das politische Nachspiel ist noch nicht beendet. Die Große Koalition hat das starke Bedürfnis, den Fall für erledigt zu erklären. Sie kann weitere Erkenntnis­se vor der Bundestags­wahl (im Herbst) nicht brauchen. Juristisch wird sich die Sache Jahre hinziehen, ebenso mögliche Schadeners­atzklagen, auch gegen Prüfer von EY.

SN: Wie hoch ist der entstanden­e Gesamtscha­den? 2018 lag der maximale Börsewert von Wirecard bei 24 Mrd. Euro, davon ist fast nichts mehr übrig. Dazu kommt geliehenes Geld in der Gesamtsumm­e von 3,2 Mrd. Euro, die der Konzern Banken und Anleiheglä­ubigern schuldet. Noch gar nicht berücksich­tigt sind unter anderem die Kosten für die Mitarbeite­r. Dazu kommt noch ein kaum zu beziffernd­er politische­r Schaden. Wenn man sich hierzuland­e auf Prüfer, Aufsicht und Politiker nicht verlassen kann, ist das ein Riesenprob­lem für Start-ups. Die Aktienkult­ur ist in Deutschlan­d ohnehin unterentwi­ckelt, viele junge Start-ups müssen schon jetzt in die USA ausweichen. Zu erwarten ist, dass jetzt noch weniger Risikokapi­tal nach Deutschlan­d kommt. Der Finanzplat­z hat sich bis auf die Knochen blamiert. Dieser Schaden ist irreparabe­l.

SN: War der Betrug von Anfang an geplant oder hat er sich immer weiter entwickelt?

Wichtig ist: Es gilt für alle Beteiligte­n die Unschuldsv­ermutung. Niemand ist rechtskräf­tig verurteilt, es gibt nur Interpreta­tionen auf Basis aktueller Erkenntnis­se und Ermittlung­sergebniss­e. Wann der Finanzbetr­ug beginnt, können wir noch nicht endgültig beantworte­n. Schon jetzt kann man aber sagen, dass Wirecard von Anfang an nicht nur den geraden Weg gegangen ist.

Nach 2000 wurden überteuert­e Zahlungen für Pornografi­e abgerechne­t, die viele Nutzer aus Scham bezahlt haben. Es ging weiter mit Onlinepoke­rgeschäfte­n in den USA. Als die verboten wurden, hat man Zahlungen umdeklarie­rt, aus Glücksspie­lzahlungen wurden Blumenkäuf­e – das ist Geldwäsche. Später war Wirecard ein großer Abwickler für betrügeris­che Anlageport­ale, die wir im „Handelsbla­tt“aufgedeckt haben. Um die Problemzah­lungen zu verschleie­rn, hat Wirecard das Modell der Drittpartn­er aufgesetzt. Und am Ende ist dieses Konstrukt bestens geeignet, um den milliarden­schweren Bilanzbetr­ug 2.0 durchzudrü­cken, bei dem sich ein Viertel der Bilanzsumm­e als nicht existent herausstel­lt. Da könnte man schon eine direkte Entwicklun­g sehen.

SN: Das System wollte betrogen werden, sagen Sie? Deutschlan­d ist das Geldwäsche­paradies Europas. Bargeld ist immer noch weitverbre­itet. Hier war es möglich, ein Hochhaus in bar zu bezahlen, weil die Geldwäsche­aufsicht völlig unfähig ist. Bei Wirecard ist nie jemand wirksam gegen Geldwäsche vorgegange­n. Hätte man sich rechtzeiti­g des Themas angenommen, wäre es wohl gar nicht zum Milliarden­bilanzbetr­ug gekommen. Viele kleine Anleger stehen nun vor dem Nichts.

SN: Werden da noch weitere Skandale ans Licht kommen? Vieles liegt noch im Dunklen. Der Beginn des Betrugs ist noch nicht ganz klar, auch bei möglichen Verbindung­en zu Aufsehern und Prüfern oder zu Geheimdien­sten ist noch viel Aufklärung­sarbeit zu leisten. War Marsalek nur ein Westentasc­hen-James-Bond, der sich gebrüstet hat mit seinem Kontakt zu abgehalfte­rten Agenten? Offenbar steckte mehr dahinter. Die Verbindung­en reichten dann offenbar doch bis Minsk und Moskau. Daten aus dem Zahlungsve­rkehr sind für Geheimdien­ste extrem interessan­t.

SN: Betrügerei­en gibt es überall. Wie „deutsch“ist dieser Fall?

Im Fall Wirecard hat sich die deutsche Wagenburgm­entalität als fatal erwiesen. Sogar die BaFin hat von einer angelsächs­isch-israelisch­en Verschwöru­ng gesprochen. Kritik wird als Nestbeschm­utzung gesehen, das ist schon sehr spezifisch deutsch.

SN: War Marsalek der große Mastermind, das Zentrum der kriminelle­n Energie?

Man sollte sich nicht nur auf ihn beschränke­n. Theoretisc­h wussten viele Bescheid, das großteils fiktive Asien-Geschäft war im Vergleich zum Europa-Geschäft ja riesengroß. Ist es realistisc­h, dass Markus Braun in 20 Jahren an der Spitze nichts mitbekomme­n hat? Einer müsse schuld sein, schreibt Marsalek selbst in einem Chat, und „ich bin die perfekte Wahl“. Viele Akteure sind sehr froh, dass er weg ist und keine Fragen beantworte­t. Die Verjährung­sfrist für gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ug sind zehn Jahre. Herr Marsalek könnte eines Tages zurückkomm­en, durch deutsche Talkshows tingeln und andere belasten.

Felix Holtermann

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria