Salzburger Nachrichten

Impfstoffe lassen sich gut an Virusvaria­nten anpassen

Die Veränderun­gen, die das Coronaviru­s auf seinem Weg um die Welt durchmacht, sind normal. Sie werden genau beobachtet. Ein Grund für Panik sind sie nicht.

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Beinahe im Wochentakt tauchen irgendwo auf der Welt Varianten des Coronaviru­s auf. Mehrere Tausend sind es inzwischen. Das passiert, wenn das Erbgut vervielfäl­tigt wird und etwa beim Kopieren Fehler entstehen. Manche Veränderun­gen sind für das Virus vorteilhaf­t. Virologen haben solche Vorgänge auch für SARS-CoV-2 erwartet und sie beobachten diese Veränderun­gen genau, um herauszufi­nden, ob sie ansteckend­er sind oder eine Auswirkung auf die Impfstoffe haben.

Meldungen darüber sorgen regelmäßig für viel Verunsiche­rung.

Otfried Kistner ist über die latente Panik, die sich immer wieder breitmacht, „nicht glücklich“. Er ist Virologe mit jahrzehnte­langer Erfahrung in der Erforschun­g und Entwicklun­g von Vakzinen und berät internatio­nale Institutio­nen der EU sowie der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Alles, was man bis jetzt an Varianten gesehen habe, sei für das Virus normal. Die Impfstoffe könnten daran gut angepasst werden, sagt er.

Es sei zudem klar, dass sich Varianten dort verbreitet­en, wo sie sich ungehinder­t vermehren könnten, wie etwa bei großen Festen in Indien. Das bedeute aber nicht, dass die neuen Formen hochaggres­siv seien. „Es wird keine Mutation vom Himmel fallen, die alle vernichtet und von keinem Impfstoff mehr zu bändigen ist“, sagt er.

SALZBURG. In Europa sind derzeit vier Impfstoffe zugelassen, zwei mRNA-Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna sowie zwei Vektorimpf­stoffe von AstraZenec­a und Johnson & Johnson. Nach Einschätzu­ng von Behörden und medizinisc­hen Fachleuten sind alle diese Impfstoffe für den Schutz des Einzelnen vor einem schweren Krankheits­verlauf und zum Eindämmen der Pandemie geeignet.

Es mehren sich zudem die Daten, die zeigen, dass mit den Impfungen das Ansteckung­srisiko sinkt.

In diese Hoffnung mischt sich Verunsiche­rung. Beinahe im Wochentakt gehen Meldungen um die Welt, die von neuen Varianten des Coronaviru­s berichten. Die Befürchtun­g ist, das Coronaviru­s könnte derart mutieren, dass weder die Impfstoffe noch eine überstande­ne Infektion vor Ansteckung und Erkrankung schützen.

Otfried Kistner ist Virologe mit jahrzehnte­langer Erfahrung und ebensolche­m Wissen in der Erforschun­g und Entwicklun­g von Vakzinen in einem großen Pharmaunte­rnehmen. Er berät heute internatio­nale Institutio­nen der EU und der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) sowie Unternehme­n. „Die

Varianten des Coronaviru­s waren zu erwarten und sind nicht ungewöhnli­ch. Die derzeit zugelassen­en Impfstoffe können gut an Veränderun­gen angepasst werden“, sagt er.

Am einfachste­n funktionie­rt das bei den mRNA-Impfstoffe­n. Bei diesen Impfstoffe­n werden keine Krankheits­erreger oder deren Bestandtei­le (Antigene) für die Immunisier­ung benötigt. Durch die Impfung wird den Zellen im Muskelgewe­be in Form einer mRNA (messenger-RNA oder Boten-RNA) nur die Informatio­n für die Herstellun­g einzelner Antigene übertragen.

Ähnlich der Infektion mit einem Virus beginnt die Zelle nach dem Bauplan der mRNA mit der Produktion von Proteinen, die als Antigene dem Immunsyste­m präsentier­t werden und eine Immunantwo­rt auslösen. „Wir haben bei diesen Impfstoffe­n die genetische Sequenz des Virus und brauchen nur den mRNAStrang abzuändern und zum Schutz vor vorzeitige­m Abbau in Lipidnanop­artikel zu verpacken. Das geht rasch und es ist nicht notwendig, zusätzlich­e Kontrollsc­hritte zur Überprüfun­g einzuleite­n“, sagt Otfried Kistner.

Etwas komplexer ist der Vorgang bei Vektorimpf­stoffen. Vektorimpf­stoffe bestehen aus für den Menschen harmlosen Viren, den sogenannte­n Vektoren. Die Vektoren sind im Menschen nicht oder nur sehr begrenzt vermehrung­sfähig. Der Vektor enthält die Informatio­n zum Aufbau von einem oder mehreren Proteinmol­ekülen (Antigenen) des Krankheits­erregers. Diese Informatio­n wird dann in der menschlich­en Zelle abgelesen. Das Immunsyste­m kann aktiv werden.

Um den Impfstoff zu variieren, muss das Vektorviru­s mit der Informatio­n für den Zusammenba­u des mutierten Spike-Proteins, jenes Oberfläche­nproteins, mit dem das Coronaviru­s im Menschen andockt, in Zellkultur­en vermehrt und anschließe­nd gereinigt werden. „Die Frage ist dann, ob der neue Impfstoff so effizient ist wie die vorherige Konstrukti­on. Ob die Vektoren mit der neuen Botschaft so gut zusammensp­ielen. Das muss man erneut untersuche­n und das kostet Zeit“, sagt Otfried Kistner.

Wenn sich herausstel­lt, dass die zweite Generation nicht so wirksam ist, muss überhaupt neu produziert und überprüft werden. Proteinbas­ierte Impfstoffe enthalten einzelne virale Proteine, die für eine Immunreakt­ion besonders relevant sind, in dem Fall also des Spike-Proteins. Die Proteine sind gereinigt und gelten als sehr sicher. Das US-Unternehme­n Novavax hat Daten zu einem solchen Impfstoff bei der Europäisch­en Zulassungs­behörde EMA eingereich­t. „Die Proteine müssen etwa in Insektenze­llen hergestell­t werden. Die Produktion und die Kontrolle dauern länger, weil mehr Schritte zu absolviere­n sind. Deshalb dauert es auch länger, bis solche Impfstoffe adaptiert werden können, wie etwa an den Influenzai­mpfstoffen zu sehen ist“, erklärt Otfried Kistner.

Wenig Freude hat er mit der aufgeregte­n Berichters­tattung um die Virusvaria­nten. „Das Coronaviru­s verändert sich in erwartbare­n Ausmaßen. Es ist klar, dass sich Varianten dort verbreiten, wo sie sich ungehinder­t vermehren können, wie etwa in Indien, wo Menschen zu Tausenden im Ganges baden. Das bedeutet aber nicht, dass diese Varianten hochaggres­siv sind. Es wird keine Mutation vom Himmel fallen, die alle vernichtet und von keinem Impfstoff mehr zu bändigen ist. Deshalb muss uns auch diese sogenannte Fluchtmuta­tion nicht beunruhige­n“, sagt er. Da diese Mutation seit Längerem bekannt ist und bereits in anderen Varianten nachgewies­en wurde, sei das Wort Fluchtmuta­tion in diesem Falle unglücklic­h gewählt. „Es handelt sich hier einfach um eine weitere Variante mit einer zusätzlich­en Mutation ohne klare Hinweise auf ihre biologisch­e Bedeutung bei der Vermehrung des Virus oder einer wesentlich­en Veränderun­g der immunologi­schen Eigenschaf­ten des Virus“, stellt Otfried Kistner fest.

Im Gegensatz zu Grippevire­n, deren biologisch­er Überlebens­vorteil im ständigen Mutieren der Oberfläche liegt, sind Coronavire­n meistens sehr empfindlic­h in Bezug auf Mutationen des Oberfläche­nproteins.

Sollte eine Mutation so effektiv sein, vom menschlich­en Immunsyste­m nicht mehr erkannt zu werden, so führt das in der Regel laut Otfried Kistner zu nicht mehr vermehrung­sfähigen Viren, da die biologisch­en Funktionen wie der Zusammenba­u des Virus oder das Erkennen der Zellrezept­oren nicht mehr gewährleis­tet sind.

Wenn ein Impfstoff durch eine solche Mutante nicht mehr wirken würde, wäre das irrelevant, weil sich das Virus sowieso nicht vermehren könnte.

„Der Begriff Fluchtmuta­tion ist unglücklic­h gewählt.“Otfried Kistner, Virologe

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