Zurück ins Leben
Rund um den Globus gibt es Beispiele: Flüchtlingslager werden von ersten Aufnahmestellen zu Dauerlösungen. In Kenia soll eines der größten davon aufgelöst werden. Aber wie?
NAIROBI. Schizophrenie, Psychosen und Depressionen gehören zu den Krankheiten, die Joseph Kariega normalerweise behandelt. Sein Arbeitsplatz ist das Flüchtlingslager Dadaab im Osten Kenias. Als Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen kümmert er sich seit fünf Jahren um die psychische Gesundheit der Menschen, die vor Konflikten in der Region geflohen sind. Vor Kurzem, erzählt der 30-Jährige, mischte sich eine neue Sorge in das Krankheitsbild seiner Patienten, die viele Symptome noch verschlimmert: „Der Gedanke, das Camp könnte geschlossen werden.“
Mit seiner Ankündigung, zwei der weltgrößten Flüchtlingscamps zu schließen und 430.000 Menschen in Bürgerkriegsgebiete zurückzuschicken, sorgte Kenia im März für Aufregung. Von den Lagern gehe eine Gefahr für die nationale Sicherheit aus, sagten die Politiker in Nairobi.
In Dadaab und Kakuma leben Geflüchtete aus Somalia, dem Südsudan und anderen afrikanischen
Staaten. Viele Jugendliche wurden in den 1992 errichteten Lagern geboren. Sie kennen keine andere Heimat als die gigantische Zelt- und Barackenstadt. Kenias Ankündigung einer Schließung kollidierte mit einer innenpolitischen Krise in Somalia, die Kenias Nachbarland einmal mehr in Richtung eines gescheiterten Staats drängt. Vergangene Woche lieferten sich Truppen von Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed und der Opposition stundenlange Schießereien in Mogadischu. Hunderte Menschen flohen aus der Hauptstadt.
Die meisten Bewohner Dadaabs sind Somalier. Für sie ist die Krise abgewendet – zumindest vorerst. „Kenias Regierung wird die Camps nicht schließen. Sie möchte eine Lösung und wissen, wie es weitergehen kann“, bestätigte der Hohe
Flüchtlingskommissar der UNO, Filippo Grandi. Das Einlenken folge „sehr guten Verhandlungen“mit Kenias Machthabern.
Doch humanitäre Helfer vor Ort sehen keine Entspannung. Sie fordern eine dauerhafte Lösung für die Geflüchteten. „Wir sind überzeugt, dass massive Flüchtlingscamps keine Antwort auf eine seit 30 Jahren verschleppte Krise darstellen. Die politischen Entscheidungsträger müssen eine andere Lösung finden“, sagt Jeroen Matthys, Projektkoordinator für Dadaab bei Ärzte ohne Grenzen (MSF). Die Organisation bietet seit 1991 dringend benötigte Gesundheitsleistungen in der Region an. In Dagahaley, einem der Camps, die den Dadaab-Komplex bilden, arbeiten 770 MSF-Mitarbeiter. Sie kümmern sich nicht nur um die Vertriebenen, sondern auch um Gastgebergemeinden, aus denen Menschen eigens in das Lager kommen, um einen Arzt aufzusuchen.
Dadaab während der Coronapandemie und politischer Unsicherheit zu schließen, damit hätte Kenia sowohl gegen seine eigene Verfassung als auch internationales Recht verstoßen, meint Matthys. Seit 2014 seien 81.000 Somalier aus Dadaab freiwillig zurückgekehrt. „Doch für viele, die hier geboren wurden, ist die Rückkehr in ein Krisenland keine Option.“220.000 Somalier verbleiben im Camp. Hoffnung gab den humanitären Helfern zumindest, dass die erneute Diskussion um eine Schließung aufgezeigt hat, dass Flüchtlingscamps keine dauerhafte Lösung seien.
„Kenia hat das Potenzial, Flüchtlinge so weit zu unterstützen, dass sie sich in die Gesellschaft integrieren können“, sagt Matthys. Im Parlament in Nairobi werde derzeit die gesetzliche Grundlage dafür diskutiert: der „Refugees Bill“. „Die schnelle Verabschiedung würde sicherstellen, dass Flüchtlinge sich frei bewegen, arbeiten und öffentliche Dienste in Anspruch nehmen können.“Mit der Unterstützung reicherer Länder könne dies zu Kenias Vorteil sein, sagt Matthys: „Endlich könnten die Geflüchteten ihr Leben lenken und mit einem sozialen Sicherheitsnetz auch etwas wagen – und auf diese Weise die Gesellschaft bereichern.“
„Flüchtlingscamps sind keine Antwort auf eine verschleppte Krise.“