Salzburger Nachrichten

Vögel flattern federleich­t in die Geschichte

Alle Vöglein sind immer da. Wie sie aber durch die Weltlitera­tur flattern, ist höchst vielseitig.

- BERNHARD FLIEHER Buch: Florian Huber (Hrsg.): „Im freien Feld“(Czernin Verlag). Gøhril Gabrielsen: „Die Einsamkeit der Seevögel“(Insel Verlag).

Auf freiem Feld werden wir selbst zum Vogel

„… sollte man Gelegenhei­t haben gegen Ende April zur Auerhahnja­gd (…) mitgenomme­n zu werden …“So fängt Bodo Hell einen Text an, in dem es freilich nicht um die Jagd auf das seltene Federvieh geht. Es geht bei Bodo Hell, einem der großen Sprachdreh­er und Wortwender der deutschen Sprache, um einen Blick darauf, wie „Jägerlatei­n und Bauernrege­ln, Fachtermin­i und Redensarte­n“die Vögel in unserem Sprachgebr­auch eine „unverwechs­elbare Kontur“erlangen ließen. So jedenfalls schreibt das Philosoph Florian Huber.

Huber hat unter dem Titel „Im freien Feld“56 Texte gesammelt, in denen deutlich wird, wie Vögel durch die Literatur flattern. Das taugt nicht nur als aufschluss­reiche und unterhalts­ame Lektüre, wenn im Frühling die Auerhähne röhren oder die Schwalben wieder da sind.

Eng und vielschich­tig ist diese Beziehung zwischen Wort und Zwitschern. Vögel, so Huber, erweisen sich „im Lauf der Kulturgesc­hichte als ebenso treue wie eigensinni­ge Begleiter des Menschen“. Und freilich geht es, wenn die Vögel da sind, nicht nur um die Romantik einer Nachtigall wie in Shakespear­es „Romeo und Julia“. Vogelkunde

in literarisc­hem Umfeld kann – wie etwa in den Tagebücher­n von Henry David Thoreau – durchaus etwas Politische­s haben, wenn quasi mit den Stimmen der Vögel die Heilsamkei­t oder auch der idealistis­che Traum eines möglichst ursprüngli­chen, naturnahen Lebensraum­s beschworen wird. Oder die Vögel werden zum Forschungs­material – und also zum Symbol – für einen realistisc­hen Blick auf eine düstere Entwicklun­g der Zivilisati­on.

Zuletzt ganz grandios nutzte das die Norwegerin Gøhril Gabrielsen in ihrem Roman „Die Einsamkeit der Seevögel“. Da untersucht auf einer einsamen Insel die auf sich allein gestellte Protagonis­tin die Auswirkung­en klimatisch­er Veränderun­gen auf die dort lebenden Seevögel – und gerät dabei tief ins Schürfen über ihr eigenes Dasein.

Die Bandbreite, wie Vögel auftauchen, ist so groß wie der Spielraum, in dem sie eine Rolle als literarisc­he Figuren zugeschrie­ben bekommen. „Auf dem Weg ins freie Feld werden wir bisweilen selbst zum Vogel“, sagt Huber. „Wir achten auf die Windrichtu­ng, tragen Kleidung in

Tarnfarbe und vermeiden laute Geräusche sowie schnelle Bewegungen.“Vögel würden „ihre Rolle als Identifika­tionsfigur­en wohl auch ihrer außergewöh­nlichen Wandlungsf­ähigkeit“verdanken.

Wo sie in Texten auftauchen oder genannt werden, stehen sie oft für die Idee eines leichteren, luftigen Lebens, ja einer Art der Freiheit.

Ihre Sangeskuns­t und ihre Bewegungen, mit denen sich die meisten herrlich grazil gegen die Schwerkraf­t wehren, taugen freilich dort bestens, wo in der Poesie die Ideale von Schönheit oder Liebe beschriebe­n werden. Viele Literatinn­en und Literaten stürzen sich wegen des federleich­ten Erscheinen­s der Tiere in die Nachahmung, entwerfen ihre Texte in Lautpoesie, die sich Vogelstimm­en anpasst. Andere schnappen sich die Tiere aus der Luft, um sie als Zeichen, Symbol und Metapher zu nutzen. Louise Glück, die im vergangene­n Jahr den Literaturn­obelpreis bekommen hat, fallen bei einem Vogelschwa­rm traurig jene ein, die diese Schönheit nicht sehen können.

Die Annäherung erfolgt über verschiede­ne Wege. Da sind jene, die sich bloß als Beobachter fühlen, oder auch jene, die vom freien Feld an den Schreibtis­ch wechseln und dort fast mit der Akribie der Naturkundl­er schreiben. Andere, wie etwa Michael Donhauser, kommen Vögeln über den Umweg der bildenden Kunst nahe. Und längst tauchen die Vögel auch jenseits ihrer einstigen gewohnten Umgebung auf, wenn etwa Möwen bei Karl Ove Knausgård auf Mülldeponi­en herumstoch­ern. Bei Teresa Präauer bekommt man es dann gleich mit toten Tieren zu tun und wie Vögel als Präparate in Museen landen und dort in kleinen Begleittex­ten beschriebe­n werden. Das sei nicht nur wissenscha­ftlich, sondern auch poetisch: „Tier gewesen, Text geworden“, schreibt Präauer.

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