Vögel flattern federleicht in die Geschichte
Alle Vöglein sind immer da. Wie sie aber durch die Weltliteratur flattern, ist höchst vielseitig.
Auf freiem Feld werden wir selbst zum Vogel
„… sollte man Gelegenheit haben gegen Ende April zur Auerhahnjagd (…) mitgenommen zu werden …“So fängt Bodo Hell einen Text an, in dem es freilich nicht um die Jagd auf das seltene Federvieh geht. Es geht bei Bodo Hell, einem der großen Sprachdreher und Wortwender der deutschen Sprache, um einen Blick darauf, wie „Jägerlatein und Bauernregeln, Fachtermini und Redensarten“die Vögel in unserem Sprachgebrauch eine „unverwechselbare Kontur“erlangen ließen. So jedenfalls schreibt das Philosoph Florian Huber.
Huber hat unter dem Titel „Im freien Feld“56 Texte gesammelt, in denen deutlich wird, wie Vögel durch die Literatur flattern. Das taugt nicht nur als aufschlussreiche und unterhaltsame Lektüre, wenn im Frühling die Auerhähne röhren oder die Schwalben wieder da sind.
Eng und vielschichtig ist diese Beziehung zwischen Wort und Zwitschern. Vögel, so Huber, erweisen sich „im Lauf der Kulturgeschichte als ebenso treue wie eigensinnige Begleiter des Menschen“. Und freilich geht es, wenn die Vögel da sind, nicht nur um die Romantik einer Nachtigall wie in Shakespeares „Romeo und Julia“. Vogelkunde
in literarischem Umfeld kann – wie etwa in den Tagebüchern von Henry David Thoreau – durchaus etwas Politisches haben, wenn quasi mit den Stimmen der Vögel die Heilsamkeit oder auch der idealistische Traum eines möglichst ursprünglichen, naturnahen Lebensraums beschworen wird. Oder die Vögel werden zum Forschungsmaterial – und also zum Symbol – für einen realistischen Blick auf eine düstere Entwicklung der Zivilisation.
Zuletzt ganz grandios nutzte das die Norwegerin Gøhril Gabrielsen in ihrem Roman „Die Einsamkeit der Seevögel“. Da untersucht auf einer einsamen Insel die auf sich allein gestellte Protagonistin die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf die dort lebenden Seevögel – und gerät dabei tief ins Schürfen über ihr eigenes Dasein.
Die Bandbreite, wie Vögel auftauchen, ist so groß wie der Spielraum, in dem sie eine Rolle als literarische Figuren zugeschrieben bekommen. „Auf dem Weg ins freie Feld werden wir bisweilen selbst zum Vogel“, sagt Huber. „Wir achten auf die Windrichtung, tragen Kleidung in
Tarnfarbe und vermeiden laute Geräusche sowie schnelle Bewegungen.“Vögel würden „ihre Rolle als Identifikationsfiguren wohl auch ihrer außergewöhnlichen Wandlungsfähigkeit“verdanken.
Wo sie in Texten auftauchen oder genannt werden, stehen sie oft für die Idee eines leichteren, luftigen Lebens, ja einer Art der Freiheit.
Ihre Sangeskunst und ihre Bewegungen, mit denen sich die meisten herrlich grazil gegen die Schwerkraft wehren, taugen freilich dort bestens, wo in der Poesie die Ideale von Schönheit oder Liebe beschrieben werden. Viele Literatinnen und Literaten stürzen sich wegen des federleichten Erscheinens der Tiere in die Nachahmung, entwerfen ihre Texte in Lautpoesie, die sich Vogelstimmen anpasst. Andere schnappen sich die Tiere aus der Luft, um sie als Zeichen, Symbol und Metapher zu nutzen. Louise Glück, die im vergangenen Jahr den Literaturnobelpreis bekommen hat, fallen bei einem Vogelschwarm traurig jene ein, die diese Schönheit nicht sehen können.
Die Annäherung erfolgt über verschiedene Wege. Da sind jene, die sich bloß als Beobachter fühlen, oder auch jene, die vom freien Feld an den Schreibtisch wechseln und dort fast mit der Akribie der Naturkundler schreiben. Andere, wie etwa Michael Donhauser, kommen Vögeln über den Umweg der bildenden Kunst nahe. Und längst tauchen die Vögel auch jenseits ihrer einstigen gewohnten Umgebung auf, wenn etwa Möwen bei Karl Ove Knausgård auf Mülldeponien herumstochern. Bei Teresa Präauer bekommt man es dann gleich mit toten Tieren zu tun und wie Vögel als Präparate in Museen landen und dort in kleinen Begleittexten beschrieben werden. Das sei nicht nur wissenschaftlich, sondern auch poetisch: „Tier gewesen, Text geworden“, schreibt Präauer.