Eine moderne Hüterin des Glücks
Frauen reüssierten in der Wiener Werkstätte als Künstlerinnen – das wurde als „unerhörte Pupperlwirtschaft“verunglimpft.
WIEN. Auf einer saftig grünen Wiese hütet eine junge Frau putzige Schweine. Sie trägt ein auffälliges Streifenkleid, schaut (verträumt) in die Ferne, schultert ihren Hirtenstock locker. So schaut eine selbstbewusste Schweinehirtin aus – eine moderne Hüterin des Glücks. Mela Koehler kreierte diese Szenerie 1910 für eine der Kunstpostkarten der Wiener Werkstätte.
Koehler ist eine von 180 Künstlerinnen, die die Entwicklung des österreichischen Kunsthandwerks geprägt haben. Die Wiener Werkstätte bestand zwischen 1903 und 1932. Das MAK – Museum für angewandte Kunst – in Wien hat erstmals die Rolle der Frauen in dieser Institution herausgearbeitet und widmet diesen vergessenen Kunsthandwerkerinnen eine umfangreiche Publikation und eine ab Mittwoch zugängliche Ausstellung. Kuratorin Anne-Katrin Rossberg sagt: „Bisher war der Akzent immer auf den Künstlern der Wiener Werkstätte, nicht auf den Künstlerinnen. Nun kommen die Frauen überhaupt einmal zu einer Ehre.“
Kreativ, vielseitig, innovativ und auf der Höhe der Zeit waren die Kunsthandwerkerinnen, das zeigt der Ausstellungskatalog eindrucksvoll. Der Aufbruch in die Moderne im Wien nach 1900 ist spürbar, all der Pioniergeist und die Lust an Neuem. Wie lustvoll die Frauen am Werk waren, ist ablesbar auf Postund Kunstkarten, Plakaten, Wanddekor, Keramiken, Stoff- und Modeentwürfen, Spielzeug. Mit dem Tun gestalteten sie ihre Frauenrollen neu, machten Emanzipation zum Thema, auf spielerische Art.
Das beweist auch Mela Koehler mit ihrer unkonventionellen Postkarte der Schweinehirtin. Die Wienerin entwarf zwischen 1907 und 1912 mehr als 150 Post- und Tischkartenmotive
für die Wiener Werkstätte, in den 1930ern emigrierte sie nach Schweden. Für Gastkuratorin Elisabeth Schmuttermeier überzeugen Koehlers Entwürfe durch Eleganz, klare Linien und Farbenwahl, gute Proportion und ausgewogene Komposition. Die Wiener Werkstätte habe das damals junge Medium Postkarte von Beginn an als „Kleinkunstwerk im Bereich Grafik“vermarktet, wie sie im Ausstellungskatalog schreibt.
Für Kuratorin Anne-Katrin Rossberg ist der Wiener Stil in all diesen Werken bemerkbar, „einerseits das Verspielte, die Blumen, die Ranken, das Motivische, andererseits auch die Abstraktion“. Die Hauptintention der Künstlerinnen sei gewesen, das Leben zu verschönern, „die Durchdringung von Kunst und Alltag ist wichtig“. Die Wiener Werkstätte habe die Frauen zu Höchstleistungen gebracht, weil sie frei hätten arbeiten können. „Kunstgewerbe und Kunst wurden auf eine Stufe gestellt.“
Die Bandbreite zwischen Jugendstil und Bauhaus spiegelte sich auch in den Arbeiten der Wiener Werkstätte. Von Anfang an bestand eine Verbindung zur Kunstgewerbeschule in Wien. Die Gründer Josef Hoffmann und Koloman Moser waren dort Professoren und holten ihre talentierten Studenten und Studentinnen in die Werkstätte.
„Es ist das Verdienst der Wiener Kunstgewerbeschule, von Anfang an das Frauenstudium ermöglicht zu haben“, schreibt MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein im Katalog. Kunstgewerblerin zu werden sei für viele Studentinnen der Traumberuf gewesen, sie hätten sich ihre gleichberechtigte Rolle in der Wiener Werkstätte aber erkämpfen müssen. Gegen den wachsenden Einfluss der Frauen ab 1915, 1916 wurde seinen Worten nach auch Polemik laut – von „unerhörter Pupperlwirtschaft“(Oswald Haerdtl) sei die Rede gewesen, vom „Wiener Weiberkunstgewerbe“(Julius Klinger) oder dem „Wiener Weh“(Adolf Loos). Das Resümee des Direktors: „Auch wenn Vorurteile ansatzweise in der Wiener Werkstätte selbst anzutreffen waren, war es in erster Linie die weitverbreitete Skepsis der Öffentlichkeit gegenüber weiblicher Kunst, die den Kunstgewerblerinnen das künstlerische Leben erschwerte.“
Bekannt sind heute nur wenige Künstlerinnen der Wiener Werkstätte, allen voran Vally Wieselthier, Gudrun Baudisch, Mathilde Flögl und Maria Likarz. Sie wurden in ihrer Zeit gemeinsam mit den Gründern genannt. Aus Salzburger Sicht ist Luise Spannring zu erwähnen, die aber nur während ihres Studiums in Wien für die Werkstätte arbeitete und schon bald ihren eigenen künstlerischen Weg ging: Sie gründete in der Salzburger Steingasse eine Keramikschule.
Ziel des MAK-Projekts war nach Information von Anne-Katrin Rossberg, Grundlagenforschung über das Schaffen der Künstlerinnen der Wiener Werkstätte zu machen, darauf müsse nun aufgebaut werden. Es gehe darum, den roten Teppich für sie auszurollen. Ihr Nachsatz: „Die Würdigung kommt sehr spät, kommt halt endlich.“
Ausstellung:
„Die Wiener Werkstätte brachte die Frauen zu Höchstleistungen.“