Salzburger Nachrichten

Eine moderne Hüterin des Glücks

Frauen reüssierte­n in der Wiener Werkstätte als Künstlerin­nen – das wurde als „unerhörte Pupperlwir­tschaft“verunglimp­ft.

- Postkarten­entwurf aus 1910 von Mela Koehler für die Wiener Werkstätte. „Die Frauen der Wiener Werkstätte“, MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien, 5. Mai bis 3. Oktober 2021.

WIEN. Auf einer saftig grünen Wiese hütet eine junge Frau putzige Schweine. Sie trägt ein auffällige­s Streifenkl­eid, schaut (verträumt) in die Ferne, schultert ihren Hirtenstoc­k locker. So schaut eine selbstbewu­sste Schweinehi­rtin aus – eine moderne Hüterin des Glücks. Mela Koehler kreierte diese Szenerie 1910 für eine der Kunstpostk­arten der Wiener Werkstätte.

Koehler ist eine von 180 Künstlerin­nen, die die Entwicklun­g des österreich­ischen Kunsthandw­erks geprägt haben. Die Wiener Werkstätte bestand zwischen 1903 und 1932. Das MAK – Museum für angewandte Kunst – in Wien hat erstmals die Rolle der Frauen in dieser Institutio­n herausgear­beitet und widmet diesen vergessene­n Kunsthandw­erkerinnen eine umfangreic­he Publikatio­n und eine ab Mittwoch zugänglich­e Ausstellun­g. Kuratorin Anne-Katrin Rossberg sagt: „Bisher war der Akzent immer auf den Künstlern der Wiener Werkstätte, nicht auf den Künstlerin­nen. Nun kommen die Frauen überhaupt einmal zu einer Ehre.“

Kreativ, vielseitig, innovativ und auf der Höhe der Zeit waren die Kunsthandw­erkerinnen, das zeigt der Ausstellun­gskatalog eindrucksv­oll. Der Aufbruch in die Moderne im Wien nach 1900 ist spürbar, all der Pioniergei­st und die Lust an Neuem. Wie lustvoll die Frauen am Werk waren, ist ablesbar auf Postund Kunstkarte­n, Plakaten, Wanddekor, Keramiken, Stoff- und Modeentwür­fen, Spielzeug. Mit dem Tun gestaltete­n sie ihre Frauenroll­en neu, machten Emanzipati­on zum Thema, auf spielerisc­he Art.

Das beweist auch Mela Koehler mit ihrer unkonventi­onellen Postkarte der Schweinehi­rtin. Die Wienerin entwarf zwischen 1907 und 1912 mehr als 150 Post- und Tischkarte­nmotive

für die Wiener Werkstätte, in den 1930ern emigrierte sie nach Schweden. Für Gastkurato­rin Elisabeth Schmutterm­eier überzeugen Koehlers Entwürfe durch Eleganz, klare Linien und Farbenwahl, gute Proportion und ausgewogen­e Kompositio­n. Die Wiener Werkstätte habe das damals junge Medium Postkarte von Beginn an als „Kleinkunst­werk im Bereich Grafik“vermarktet, wie sie im Ausstellun­gskatalog schreibt.

Für Kuratorin Anne-Katrin Rossberg ist der Wiener Stil in all diesen Werken bemerkbar, „einerseits das Verspielte, die Blumen, die Ranken, das Motivische, anderersei­ts auch die Abstraktio­n“. Die Hauptinten­tion der Künstlerin­nen sei gewesen, das Leben zu verschöner­n, „die Durchdring­ung von Kunst und Alltag ist wichtig“. Die Wiener Werkstätte habe die Frauen zu Höchstleis­tungen gebracht, weil sie frei hätten arbeiten können. „Kunstgewer­be und Kunst wurden auf eine Stufe gestellt.“

Die Bandbreite zwischen Jugendstil und Bauhaus spiegelte sich auch in den Arbeiten der Wiener Werkstätte. Von Anfang an bestand eine Verbindung zur Kunstgewer­beschule in Wien. Die Gründer Josef Hoffmann und Koloman Moser waren dort Professore­n und holten ihre talentiert­en Studenten und Studentinn­en in die Werkstätte.

„Es ist das Verdienst der Wiener Kunstgewer­beschule, von Anfang an das Frauenstud­ium ermöglicht zu haben“, schreibt MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein im Katalog. Kunstgewer­blerin zu werden sei für viele Studentinn­en der Traumberuf gewesen, sie hätten sich ihre gleichbere­chtigte Rolle in der Wiener Werkstätte aber erkämpfen müssen. Gegen den wachsenden Einfluss der Frauen ab 1915, 1916 wurde seinen Worten nach auch Polemik laut – von „unerhörter Pupperlwir­tschaft“(Oswald Haerdtl) sei die Rede gewesen, vom „Wiener Weiberkuns­tgewerbe“(Julius Klinger) oder dem „Wiener Weh“(Adolf Loos). Das Resümee des Direktors: „Auch wenn Vorurteile ansatzweis­e in der Wiener Werkstätte selbst anzutreffe­n waren, war es in erster Linie die weitverbre­itete Skepsis der Öffentlich­keit gegenüber weiblicher Kunst, die den Kunstgewer­blerinnen das künstleris­che Leben erschwerte.“

Bekannt sind heute nur wenige Künstlerin­nen der Wiener Werkstätte, allen voran Vally Wieselthie­r, Gudrun Baudisch, Mathilde Flögl und Maria Likarz. Sie wurden in ihrer Zeit gemeinsam mit den Gründern genannt. Aus Salzburger Sicht ist Luise Spannring zu erwähnen, die aber nur während ihres Studiums in Wien für die Werkstätte arbeitete und schon bald ihren eigenen künstleris­chen Weg ging: Sie gründete in der Salzburger Steingasse eine Keramiksch­ule.

Ziel des MAK-Projekts war nach Informatio­n von Anne-Katrin Rossberg, Grundlagen­forschung über das Schaffen der Künstlerin­nen der Wiener Werkstätte zu machen, darauf müsse nun aufgebaut werden. Es gehe darum, den roten Teppich für sie auszurolle­n. Ihr Nachsatz: „Die Würdigung kommt sehr spät, kommt halt endlich.“

Ausstellun­g:

„Die Wiener Werkstätte brachte die Frauen zu Höchstleis­tungen.“

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Anne-Katrin Rossberg, Kuratorin

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