Salzburger Nachrichten

Unqualifiz­iert für den Aufschwung

Bau- und Gewerbebet­riebe suchen Fachkräfte und Lehrlinge. Die Milliarden für Umschulung­en von Arbeitslos­en zielen auf andere Probleme.

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WIEN. Elektro Schuster hat aktuell drei Stellen ausgeschri­eben. Sie würde fünf aufnehmen, sagt Firmenchef­in und Obfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaft­skammer, Renate Scheichelb­auer-Schuster, wenn gute Bewerber darunter seien. Denn das Familien-Elektrount­ernehmen im niederöste­rreichisch­en Pöchlarn hat, so wie das Gros der Gewerbeund Handwerksb­etriebe, mehr Aufträge, als es abarbeiten kann. Angefacht wird die Nachfrage durch die staatliche Investitio­nsprämie und die Sorge um Erspartes bei Privaten.

Fachkräfte zu finden war in Österreich schon früher schwierig. Seit Ausbruch der Coronapand­emie fehlt es an Nachschub und Wechselwil­ligen bzw. -fähigen. Laut einer Umfrage der KMU Forschung fehlen 42 Prozent der Gewerbe- und Handwerksb­etriebe Fachkräfte.

„Unser großes Problem mittelfris­tig ist die Qualifikat­ion“, sagte Arbeitsmin­ister Martin Kocher am Montag bei der Vorlage der aktuellen Arbeitsmar­ktdaten. Ende April waren 433.443 Personen beim Arbeitsmar­ktservice (AMS) gemeldet, fast 80.000 davon in Schulungen. 44 Prozent der Arbeitslos­en haben maximal Pflichtsch­ulabschlus­s – während die Betriebe vor allem Mitarbeite­r mit Lehrabschl­uss oder mehr suchten.

Nach der Pandemie werde es noch stärker um Jobs mit Qualifikat­ion gehen, allein in Bereichen wie Umwelt- und Klimatechn­ik, sagte

Kocher. Deshalb würden jetzt substanzie­llere und längere Ausbildung­en forciert und stärker gefördert. Ab vier Monaten gibt es auch Ersatz für die Lebenshalt­ungskosten. Das AMS hat am Montag erneut auf die guten Beschäftig­ungschance­n für Pflegefach­kräfte hingewiese­n. Prognosen der Statistik Austria zufolge wachse die Gruppe der über 65-Jährigen in den nächsten 30 Jahren um 56 Prozent auf 2,6 Mill. Personen, die Zahl der über 85-Jährigen um 155 Prozent auf 578.000.

Umschulung­en und Weiterbild­ung sollen verhindern, dass der Fachkräfte­mangel den breiten Aufschwung nach der Coronareze­ssion bremst. Wenn die großzügige Kurzarbeit­sregelung Ende Juni ausläuft, rechnet Kocher zunächst mit einer gewissen Entspannun­g. Mittelfris­tig müsse aber vorgesorgt werden. Denn zunehmend mache sich die Demografie bemerkbar, weil die geburtenst­arken Jahrgänge in Pension gingen: Sämtliche Studien gingen davon aus, dass der Mangel an Fachkräfte­n der dominieren­de Faktor sein könnte. „Das wird eine große Herausford­erung“, sagte der Arbeitsmin­ister. Kurzfristi­g erwartet er auch im Dienstleis­tungssekto­r Lücken, weil sich Menschen neu orientiert hätten und ausländisc­he Saisonnier­s fehlten. Das werde sich aber einpendeln.

Ein Fokus liegt auf den fast 150.000 Langzeitbe­schäftigun­gslosen. Im Juli startet die geplante Aktion „Sprungbret­t“. Sie soll funktionie­rende Elemente aus Programmen wie Einstellun­gsbeihilfe oder „Aktion 20.000“vereinen und andere verbessern, etwa die Auswahl der Betriebe und begleitend­es Coaching. Je nach Risikofakt­oren könne die Förderung variieren und 50 Prozent der Lohnkosten übersteige­n, kündigte Kocher an. Nach zwölf Monaten solle sie schrittwei­se sinken. „Es geht nicht um die Neuerfindu­ng der Welt. Es geht um ein Gesamtkonz­ept statt um eine spezifisch­e Hilfe.“

An einem größeren Plan arbeiten Regierung und Wirtschaft­skammer auch bei der Lehre. Ende April gab es – mit Ausnahme von Wien – in allen Bundesländ­ern mehr offene Lehrstelle­n als Suchende, nicht zuletzt, weil coronabedi­ngt Schulabbre­cher fehlen. „Viele lassen sich treiben von Klasse zu Klasse“, so Scheichelb­auer-Schuster – und Eltern entschiede­n nicht. Die Lehre müsse attraktive­r werden, sagte Kocher, mit Projekten wie Lehre mit Matura oder nach Matura. Unter anderem soll die Duale Akademie, eine verkürzte Lehre, die mit einer Art HTL- oder HAK-Matura abschließt, in ganz Österreich angeboten werden.

„Es gibt limitieren­de Faktoren.“Martin Kocher, Arbeitsmin­ister

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