Salzburger Nachrichten

Warum es die „richtige“Coronapoli­tik nicht gibt

Egal, was die Regierung tut: Jede Coronamaßn­ahme zieht Folgeschäd­en nach sich. Das Dilemma ist nicht wirklich aufzulösen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Die Rückkehr in den Vollbetrie­b an den Schulen komme zu früh, warnte dieser Tage Michael Wagner, Mikrobiolo­ge an der Uni Wien. Die Rückkehr in den Vollbetrie­b an den Schulen komme zu spät, warnen seit Monaten Pädagoginn­en und Schulpsych­ologen. Und beide Seiten haben recht. Denn einerseits sind volle Klassenzim­mer potenziell­e Coronaclus­ter. Doch anderersei­ts sind leere Klassenzim­mer eine Katastroph­e für eine ganze Schülergen­eration.

In diesem nicht wirklich aufzulösen­den Dilemma findet seit mehr als einem Jahr Coronapoli­tik statt. Vom virologisc­hen Standpunkt aus betrachtet, wäre es am besten gewesen, Österreich wäre seit März 2020 im Lockdown verharrt. Weil wir so die Pandemie am schnellste­n in den Griff bekommen hätten. Vom gesellscha­ftspolitis­chen, wirtschaft­lichen, psychologi­schen, zwischenme­nschlichen Standpunkt aus betrachtet, wäre es am besten gewesen, sämtliche Anti-Corona-Maßnahmen zum ehestmögli­chen Zeitpunkt zu lockern. Weil wir so den durch all die Schließung­en und sonstigen Restriktio­nen verursacht­en Kollateral­schaden in unserem Gemeinwese­n am ehesten verhindert hätten. Welcher Standpunkt ist der richtige?

Die Politik geht in diesem Dilemma den einzig möglichen Weg, nämlich den Weg des Kompromiss­es:

Lockerung der Restriktio­nen so schnell wie möglich, um dem Land Luft zum Atmen zu geben. Und gleichzeit­ig Lockerung der Restriktio­nen so langsam wie nötig, um die Pandemie nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die politische­n Akteure auf diesem Mittelweg von beiden Seiten heftige und grundsätzl­iche Kritik einheimsen. Von den einen, die vor einer sträfliche­n Unterschät­zung der Pandemie warnen. Und von den anderen, die die gesellscha­ftlichen Verwerfung­en, die von den Restriktio­nen verursacht werden, für schädliche­r halten als die Seuche selbst.

In diesem Dilemma ist es nach den Gesetzen der Logik unmöglich, eine schlechthi­n „richtige“Coronapoli­tik zu betreiben. Jede einzelne Maßnahme, die Regierung, Parlament und Landeshaup­tleute setzen, hat auch den Keim des Falschen in sich. Jeder unternomme­ne Öffnungssc­hritt kann die Infektions­zahlen nach oben jagen, jeder unterlasse­ne Öffnungssc­hritt kann Land und Leute noch tiefer in den Frust und den wirtschaft­lichen Abschwung treiben. Die Politik muss täglich entscheide­n, welches Risiko sie dem Land aufzubürde­n für vertretbar hält. Das ist keine beneidensw­erte Aufgabe.

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