Warum es die „richtige“Coronapolitik nicht gibt
Egal, was die Regierung tut: Jede Coronamaßnahme zieht Folgeschäden nach sich. Das Dilemma ist nicht wirklich aufzulösen.
Die Rückkehr in den Vollbetrieb an den Schulen komme zu früh, warnte dieser Tage Michael Wagner, Mikrobiologe an der Uni Wien. Die Rückkehr in den Vollbetrieb an den Schulen komme zu spät, warnen seit Monaten Pädagoginnen und Schulpsychologen. Und beide Seiten haben recht. Denn einerseits sind volle Klassenzimmer potenzielle Coronacluster. Doch andererseits sind leere Klassenzimmer eine Katastrophe für eine ganze Schülergeneration.
In diesem nicht wirklich aufzulösenden Dilemma findet seit mehr als einem Jahr Coronapolitik statt. Vom virologischen Standpunkt aus betrachtet, wäre es am besten gewesen, Österreich wäre seit März 2020 im Lockdown verharrt. Weil wir so die Pandemie am schnellsten in den Griff bekommen hätten. Vom gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen, psychologischen, zwischenmenschlichen Standpunkt aus betrachtet, wäre es am besten gewesen, sämtliche Anti-Corona-Maßnahmen zum ehestmöglichen Zeitpunkt zu lockern. Weil wir so den durch all die Schließungen und sonstigen Restriktionen verursachten Kollateralschaden in unserem Gemeinwesen am ehesten verhindert hätten. Welcher Standpunkt ist der richtige?
Die Politik geht in diesem Dilemma den einzig möglichen Weg, nämlich den Weg des Kompromisses:
Lockerung der Restriktionen so schnell wie möglich, um dem Land Luft zum Atmen zu geben. Und gleichzeitig Lockerung der Restriktionen so langsam wie nötig, um die Pandemie nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die politischen Akteure auf diesem Mittelweg von beiden Seiten heftige und grundsätzliche Kritik einheimsen. Von den einen, die vor einer sträflichen Unterschätzung der Pandemie warnen. Und von den anderen, die die gesellschaftlichen Verwerfungen, die von den Restriktionen verursacht werden, für schädlicher halten als die Seuche selbst.
In diesem Dilemma ist es nach den Gesetzen der Logik unmöglich, eine schlechthin „richtige“Coronapolitik zu betreiben. Jede einzelne Maßnahme, die Regierung, Parlament und Landeshauptleute setzen, hat auch den Keim des Falschen in sich. Jeder unternommene Öffnungsschritt kann die Infektionszahlen nach oben jagen, jeder unterlassene Öffnungsschritt kann Land und Leute noch tiefer in den Frust und den wirtschaftlichen Abschwung treiben. Die Politik muss täglich entscheiden, welches Risiko sie dem Land aufzubürden für vertretbar hält. Das ist keine beneidenswerte Aufgabe.