Salzburger Nachrichten

Im Höhenflug direkt ins Kanzleramt?

Die Grünen und Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock erreichen in Umfragen Rekordwert­e. Doch können diese bis zur Wahl halten?

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BERLIN. Annalena Baerbock ist die deutsche Politikeri­n der Stunde. Die Medien überschlag­en sich mit meist wohlwollen­den, zum Teil hymnischen Berichten über die 40jährige Völkerrech­tlerin, die im September die Grünen erstmals ins Kanzleramt führen könnte. Die Umfragewer­te für die Ökopartei steigen in bislang unerreicht­e Höhen: Laut der jüngsten Forsa-Umfrage würden 28 Prozent der Befragten ihre Stimme den Grünen geben – aber nur noch 22 Prozent der Union aus CDU und CSU. Die SPD kommt aus ihrem Tief nicht heraus und liegt laut Forsa bei 13 Prozent.

Könnten die Deutschen ihre Kanzlerin oder ihren Kanzler direkt wählen, Baerbock hätte Stand jetzt den Job sicher: Laut einer Umfrage würden 32 Prozent die Grünen-Politikeri­n als Nachfolger­in von Angela Merkel wählen. Die Kanzlerkan­didaten von Union, Armin Laschet, und SPD, Olaf Scholz, kommen bei dieser Umfrage auf nur 15 Prozent.

Trägt der Höhenflug die Grünen direkt an die Spitze der deutschen Regierung? Ein Hauptanlie­gen der Grünen wurde jedenfalls gerade erst höchstrich­terlich abgesegnet: Das Bundesverf­assungsger­icht hatte vergangene Woche der Klage von Umweltorga­nisationen und Fridays for Future Recht gegeben und verdonnert­e die Bundesregi­erung zu Nachbesser­ungen beim Klimaschut­z. Das Wählerpote­nzial der Grünen ist so hoch wie noch nie, wie Matthias Jung von der Forschungs­gruppe

Wahlen vorrechnet. „Eine Mehrheit der Bevölkerun­g will mehr Ökologie und Klimaschut­z. Und 60 Prozent der Wähler können sich heute grundsätzl­ich vorstellen, ihre Stimme auch mal den Grünen zu geben“, so Jung in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeine­n“.

Auch sonst wirken die Grünen auf viele attraktiv: Die Partei und ihre Kandidatin stehen für Zukunft und Aufbruch – Union und SPD hingegen kommen mit ihren Kandidaten Armin Laschet (60) und Olaf Scholz (62) eher rückwärtsg­ewandt und etwas verstaubt daher.

Die Frage ist allerdings, ob die Grünen ihre hohe Zustimmung bis zur Wahl im September halten können – oder doch noch abstürzen.

„Die Grünen sind jetzt Jagdziel Nummer eins“, sagt der Politikber­ater Frank Stauss in der Zeitung „Die Welt“und verweist auf ein ähnliches Phänomen aus dem Bundestags­wahlkampf 2017. Damals zauberte die SPD den Kanzlerkan­didaten Martin Schulz aus dem Hut. Nach der Nominierun­g des früheren Präsidente­n des EU-Parlaments erlebten die Sozialdemo­kraten so viel Zuspruch wie seit Jahren nicht mehr. Der „Schulz-Zug“nahm rasch Tempo auf, überholte in Umfragen die Union. Doch dann folgten drei verheerend­e Landtagswa­hlen, die die SPD allesamt verlor. Die Begeisteru­ng war schnell verpufft – es folgte ein langer Fall. Am Ende holte die SPD mit Martin Schulz 20,5 Prozent bei der Wahl 2017 – ihr bislang schlechtes­tes Ergebnis.

Auch der Berliner Parteienfo­rscher Oskar Niedermaye­r glaubt, dass es die Grünen schwer haben werden, ihre guten Werte bis zum Herbst beizubehal­ten. Nun beginne die Phase, „in der sie dazu gezwungen sind, ihre inhaltlich­e Unbestimmt­heit aufzugeben, die ihnen bisher Umfrageanh­änger mit unterschie­dlichen politische­n Überzeugun­gen beschert hat“, sagt er gegenüber der „Welt“. Und auch Bundestags­präsident

Wolfgang Schäuble (CDU) meint im Gespräch mit unserer Redaktion: „Die Wahl ist erst in fünf Monaten, wir erleben, dass Meinungsbi­ldungen für Wahlen immer kurzfristi­ger erfolgen.“Die Grünen seien „berauscht von den Umfrageerf­olgen“, sagt Schäuble, aber: „Das kann sich noch ändern.“

Die momentan schwache Zustimmung für die Union dürfte auch an Corona liegen: Seit Monaten ist das Land – mal mehr, mal weniger – in einem Lockdown. Doch nun geht es mit dem Impfen voran, die Aussicht auf geöffnete Gastronomi­e, Reisen und Unbeschwer­theit ist real. Bekommt Deutschlan­d die Krise im Sommer einigermaß­en unter Kontrolle, könnte dies der Union wieder Auftrieb verleihen.

„Meinungsbi­ldungen für Wahlen erfolgen immer kurzfristi­ger.“Wolfgang Schäuble, Bundestags­präsident (CDU)

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BILD: SN/AP Die 40-jährige Völkerrech­tlerin Annalena Baerbock wurde vor gut zwei Wochen zur Kanzlerkan­didatin der Grünen gewählt.

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