Salzburger Nachrichten

Er bekommt ein Gehalt statt nur Taschengel­d

Menschen mit Beeinträch­tigung sind derzeit finanziell ein Leben lang abhängig. Ein Konzept, das bereits im Bundesrat diskutiert wurde, soll das ändern.

- Stv

Seit 2018 arbeitet Halid Memic 40 Stunden die Woche in der Besucherbe­treuung im Museum der Moderne (MdM): „Ich muss schauen, dass keine Objekte beschädigt werden. Denn es handelt sich um wertvolle Kunstgegen­stände.“Was dem 27-Jährigen am Job am besten gefällt? „Es wird nie langweilig. Man lernt immer etwas Neues.“Dass Memic hier arbeitet, ist nicht selbstvers­tändlich: Von Geburt an ist seine linke Körperhälf­te nur eingeschrä­nkt beweglich. Daher war der junge Mann nach Volks- und Sonderschu­le und einer Ausbildung auf Schloss Oberrain einige Jahre Klient der Lebenshilf­e. Memic wollte aber mehr und hat ein Praktikum im MdM absolviert. „Als eine Stelle frei geworden ist, haben wir ihm eine Chance gegeben – und es nicht bereut“, sagt sein Chef Thomas Fenninger. Mit seinem Mitarbeite­r ist er sehr zufrieden: „Er hat sich gut eingelebt und packt fleißig an.“

Für Memic hat der Job viel verändert: Er verdient nun 1300 Euro netto im Monat und kann die Miete für seine Garçonnièr­e selbst zahlen. „Und er bekommt später eine Pension“, wirft seine Mutter Haliema ein. Die Anstellung hat Memic auch Selbstbewu­sstsein verschafft: „Es ist super, wenn man sich selber etwas ermögliche­n kann und nicht immer andere fragen muss.“

Auch Sabine und Pamela Wagner haben den Sprung von der Lebenshilf­e auf den ersten Arbeitsmar­kt gewagt: Die 43-jährigen Zwillinge arbeiten seit mehr als zehn Jahren im Walser Laschensky­hof. Sabine Wagner: „Ich bügle die Bettwäsche, die Tischwäsch­e und die Stoffservi­etten. Die Arbeit ist voll super.“Ihr Vater Erwin freut sich zudem, dass Sabine 2020 in eine Wohnung nach Hallein gezogen ist: „Es war der richtige Schritt und funktionie­rt besser als gedacht.“

Um mehr Menschen mit Beeinträch­tigung ein selbstbest­immtes Leben zu ermögliche­n, hat die Lebenshilf­e ein Zwei-Säulen-Modell entwickelt. Es sehe vor, dass sie entweder ein Gehalt samt Pensionsve­rsicherung oder eine Grundsiche­rung erhalten, sagt Geschäftsf­ührer Guido Güntert: „In Summe sollen sie so ein Einkommen von rund 1250 Euro haben – also über der Armutsgren­ze.“

Zusätzlich solle es als zweite Säule die Bedarfssic­herung geben, um auch Bedürfniss­e wie eine Haushaltsh­ilfe, einen Rollstuhl oder persönlich­e Assistenz abzudecken. LH-Stv. Heinrich Schellhorn (Grüne) betont, dass das Modell auch im türkisgrün­en Regierungs­pakt stehe: „Es verursacht sicher Mehrkosten, aber es erspart einiges an Sozialhilf­e und Pflegekost­en. Für die Umsetzung braucht es aber bundeseinh­eitliche Regeln.“

Der Bundesrat hat sich bereits für das Modell ausgesproc­hen. Anlässlich des Tags der Inklusion am Mittwoch wird eine Petition an Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) übergeben. Güntert: „Auch Menschen mit Beeinträch­tigung bringen jeden Tag ihre 100 Prozent Leistung, werden aber weiter wie Kinder behandelt und nicht wie vollwertig­e Bürger. Das ist nicht argumentie­rbar.“

Grundsiche­rung bringt Selbststän­digkeit

 ?? BILD: SN/LEBENSHILF­E ?? Halid Memic (27) arbeitet Vollzeit im Museum der Moderne Salzburg und verdient 1300 Euro netto im Monat. Als Klient bei einem sozialen Träger wie der Lebenshilf­e würde er ein Taschengel­d von maximal 102 Euro monatlich erhalten.
BILD: SN/LEBENSHILF­E Halid Memic (27) arbeitet Vollzeit im Museum der Moderne Salzburg und verdient 1300 Euro netto im Monat. Als Klient bei einem sozialen Träger wie der Lebenshilf­e würde er ein Taschengel­d von maximal 102 Euro monatlich erhalten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria