Corona-Politik gelockert und gewonnen
Mit der Sehnsucht der Bürger nach Normalität lassen sich Wahlen gewinnen. Darauf setzte Madrids Regionalchefin – und riskiert viel.
MADRID. Nicht wenige europäische Lockdown-Skeptiker verfolgen sehr aufmerksam jenes politische Erdbeben, das sich gerade in der spanischen Hauptstadt Madrid abspielt. Dort feierte die konservative Landesfürstin Isabel Díaz Ayuso am Dienstag einen triumphalen Sieg, den sie vor allem einem Umstand zu verdanken hat: ihrer hartnäckigen Ablehnung jeglicher Lockdowns. Ayuso entschied sich für eine Politik lascher Coronabeschränkungen zugunsten der Wirtschaft: Trotz hoher Infektionszahlen sind in Madrid seit Monaten Gastronomie, Geschäfte, Fitnessstudios und Kultureinrichtungen geöffnet.
Seit Beginn der Pandemie vor gut einem Jahr attackiert Ayuso immer wieder den Chef der linken Zentralregierung, Pedro Sánchez, der scharfe Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der Pandemie vorantrieb. „Wir wollen keine Notstandsregeln und keine Ausgangsbeschränkungen“, lautet die Marschroute der eigenwilligen Landeschefin, die ihre Politik mit dem Ruf nach „Freiheit“begleitet. „In dieser Wahl geht es um das Modell, das wir in Madrid wollen“, rief Ayuso kurz vor der Abstimmung den 6,8 Millionen Bürgern der Region zu. Die breite Mehrheit machte mit ihrer Stimme klar, dass sie Ayusos kompromissloses Öffnungsmodell bevorzugt. Und dass sie die
Nase voll hat von allen Einschränkungen.
Nahezu 45 Prozent der Wähler votierten für Ayusos konservative Volkspartei (PP), die ihren Stimmanteil gegenüber der vergangenen Wahl im Jahr 2019 verdoppeln konnte. Das reicht zwar nicht für eine absolute Mehrheit. Aber mit Unterstützung der Rechts-außen-Partei Vox, die Coronabeschränkungen ebenfalls als „totalitär“ablehnt, ist Ayusos Wiederwahl gesichert – Vox blieb mit annähernd neun Prozent der Stimmen gleich stark.
„Ayuso hat besser als alle anderen verstanden, dass viele Bürger pandemiemüde sind“, erklärt Ignacio Escolar, Chefredakteur der Onlinezeitung „El Diario“den überraschenden Triumph der konservativen Landeschefin Madrids. Zum Erfolg habe ihr vor allem verholfen, dass sie die Gastronomie entgegen der Empfehlung der Virologen nicht lahmgelegt habe. „In Madrid hat die Freiheit gesiegt, draußen ein Bier trinken zu können“, sagt Escolar. Die Sehnsucht der Bürger, endlich wieder ausgehen zu können, ist offenbar so groß, dass sich damit inzwischen sogar Wahlen gewinnen lassen.
Dass der lockere Umgang mit den Coronarisiken in Madrid zu deutlich höheren Infektions- und Todeszahlen als in den meisten anderen Regionen Spaniens führte, tat der Popularität Ayusos offenbar keinen Abbruch. Zudem wies sie auch hier der ihr verhassten Zentralregierung die Schuld zu. Die sei dafür verantwortlich, dass Impfstoffe zu spät verfügbar gewesen seien. Und ohnehin habe ihr die Regierung immer nur Knüppel zwischen die Beine geworfen. Die Tatsache, dass das öffentliche Gesundheitswesen in Madrid nach 26 Jahren
„Ayuso hat verstanden, dass viele Bürger pandemiemüde sind.“
PP-Regierung in einem besonders schlechten Zustand war, ging im Lärm des extrem polarisierten Wahlkampfs unter.
Ayusos harte Konfrontationsstrategie ging auf: Sánchez’ sozialdemokratisch orientierte Sozialisten mussten in der Regionalwahl eine historische Niederlage hinnehmen. Sie stürzten von bisher 27 Prozent auf 16,8 Prozent der Stimmen. „Eine Katastrophe“, schrieb Spaniens größte Tageszeitung „El País“. Auch Sánchez’ Koalitionspartner Podemos enttäuschte mit nur sieben Prozent. Spaniens PodemosChef Pablo Iglesias, der sich in Madrid als Spitzenkandidat präsentiert hatte, trat deswegen noch in der Wahlnacht von allen Ämtern zurück.
Die spanische Minderheitsregierung aus Sánchez’ sozialistischer PSOE und linksalternativer Unidas Podemos gerät durch das Wahldebakel mächtig unter Druck. Ayuso nutzte ihre Siegesrede für eine Kampfansage. Nun beginne „ein neues Kapitel“, Sánchez’ Tage seien gezählt. Nach dem Ausbau ihrer Macht in Madrid gehe es nun darum, auch die nationale Regierung zu erobern, die 2023 neu gewählt wird. Ayuso ließ keinen Zweifel daran, dass sie dann höchstpersönlich in den spanischen Regierungspalast einziehen will.