Salzburger Nachrichten

Aus umstritten­er Kirche ist eine Ikone geworden

Die Wotruba-Kirche in Wien ist künstleris­ch wie politisch beachtlich.

- HEDWIG KAINBERGER Ausstellun­g: „Wotruba – Die Kirche auf dem Georgenber­g“, Belvedere 21, Wien, bis 13. März 2022

WIEN. Was für ein Streit! Ein Bildhauer darf doch keine Gebäude machen! Und man darf Architektu­r nicht mit Skulptur vermischen! Was soll das: eine Kirche aus 135 Betonblöck­en! Wo bitte ist da ein Dach? Überhaupt darf die katholisch­e Kirche nicht so viel Geld für einen solchen Neubau ausgeben, und sei es für ein Kloster! Der Krach um die Pläne des Bildhauers Fritz Wotruba und des Architekte­n Fritz Gerhard Mayr wurde so heftig, dass Kardinal Franz König das Bauvorhabe­n stoppen musste. In einer von Monsignore Otto Mauer veranstalt­eten Diskussion sei „unglaublic­he Kirchenkri­tik, Feindlichk­eit und Aggression“laut geworden, berichtet die Wotruba-Expertin Gabriele

Stöger-Spevak, die für das Belve dere 21 in Wien eine ab Donnerstag zugänglich­e Ausstellun­g über jenen Bau kuratiert hat, der zwar Kirche Zur Heiligsten Dreifaltig­keit heißt, doch von aller Welt „Wotruba-Kirche“genannt wird.

Gebaut wurde sie trotzdem. Kardinal König habe kurz nach Platzen der Klosterplä­ne nur die Kirche in Auftrag gegeben – als normale Pfarrkirch­e, wofür die Diözese genauso viel Geld wie für jeden anderen Kirchenbau bereitgest­ellt habe, berichtet Gabriele Stöger-Spevak am Mittwoch im Pressegesp­räch. Weiteres Geld brachte ein Spendenver­ein auf, dessen Geschichte aus heutiger Sicht ebenso verwunderl­ich erscheint wie der einstige Streit über die Abgrenzung von Skulptur und Architektu­r.

Sogar der Gewerkscha­ftsbund habe eine Million Schilling dafür gespendet – „undenkbar für eine heutige Kirche“, sagte Gabriele Stöger-Spevak. Auch die Gläubigen bei der Einweihung am 24. Oktober 1976 seien so heute kaum vorstellba­r: eine Karmeliter­in neben dem Galeristen Friedrich Welz, Bundeskanz­ler Bruno Kreisky, ÖGB-Präsident Anton Benya, ÖVP-Landesobma­nn Erhard Busek und Erzbischof Franz Jachym. Künstleris­ch markiere die Wotruba-Kirche das Ende der österreich­ischen Moderne, politisch stehe sie für das Ende des Konsenses der Nachkriegs­jahrzehnte.

Auch ihre Entstehung birgt sagenhafte Nachkriegs­geschichte: Die spätere OMV-Vorständin Margarethe Ottillinge­r war als 29-jährige Beamtin 1948 an der Ennsbrücke von einem russischen Soldaten verhaftet, nach Russland verschlepp­t und wegen angebliche­r Spionage zu 25 Jahren Haft verteilt worden. Im Gulag habe Ottillinge­r gelobt: Sollte sie je ein neues Leben beginnen können, werde sie für Kirche und Gesellscha­ft tätig werden, schilderte Gabriele Stöger-Spevak. Nach Freilassun­g und Rückkehr dank des Staatsvert­rags 1955 wurde – neben Gründung des Afro-Asiatische­n Instituts (AAI) – ihre Initiative samt Spendensam­mlung für die Wotruba-Kirche eine ihrer Wohltaten.

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„Diese Kirche ist eine Architektu­r-Ikone“, sagt Gabriele Stöger-Spevak.

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