Aus umstrittener Kirche ist eine Ikone geworden
Die Wotruba-Kirche in Wien ist künstlerisch wie politisch beachtlich.
WIEN. Was für ein Streit! Ein Bildhauer darf doch keine Gebäude machen! Und man darf Architektur nicht mit Skulptur vermischen! Was soll das: eine Kirche aus 135 Betonblöcken! Wo bitte ist da ein Dach? Überhaupt darf die katholische Kirche nicht so viel Geld für einen solchen Neubau ausgeben, und sei es für ein Kloster! Der Krach um die Pläne des Bildhauers Fritz Wotruba und des Architekten Fritz Gerhard Mayr wurde so heftig, dass Kardinal Franz König das Bauvorhaben stoppen musste. In einer von Monsignore Otto Mauer veranstalteten Diskussion sei „unglaubliche Kirchenkritik, Feindlichkeit und Aggression“laut geworden, berichtet die Wotruba-Expertin Gabriele
Stöger-Spevak, die für das Belve dere 21 in Wien eine ab Donnerstag zugängliche Ausstellung über jenen Bau kuratiert hat, der zwar Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit heißt, doch von aller Welt „Wotruba-Kirche“genannt wird.
Gebaut wurde sie trotzdem. Kardinal König habe kurz nach Platzen der Klosterpläne nur die Kirche in Auftrag gegeben – als normale Pfarrkirche, wofür die Diözese genauso viel Geld wie für jeden anderen Kirchenbau bereitgestellt habe, berichtet Gabriele Stöger-Spevak am Mittwoch im Pressegespräch. Weiteres Geld brachte ein Spendenverein auf, dessen Geschichte aus heutiger Sicht ebenso verwunderlich erscheint wie der einstige Streit über die Abgrenzung von Skulptur und Architektur.
Sogar der Gewerkschaftsbund habe eine Million Schilling dafür gespendet – „undenkbar für eine heutige Kirche“, sagte Gabriele Stöger-Spevak. Auch die Gläubigen bei der Einweihung am 24. Oktober 1976 seien so heute kaum vorstellbar: eine Karmeliterin neben dem Galeristen Friedrich Welz, Bundeskanzler Bruno Kreisky, ÖGB-Präsident Anton Benya, ÖVP-Landesobmann Erhard Busek und Erzbischof Franz Jachym. Künstlerisch markiere die Wotruba-Kirche das Ende der österreichischen Moderne, politisch stehe sie für das Ende des Konsenses der Nachkriegsjahrzehnte.
Auch ihre Entstehung birgt sagenhafte Nachkriegsgeschichte: Die spätere OMV-Vorständin Margarethe Ottillinger war als 29-jährige Beamtin 1948 an der Ennsbrücke von einem russischen Soldaten verhaftet, nach Russland verschleppt und wegen angeblicher Spionage zu 25 Jahren Haft verteilt worden. Im Gulag habe Ottillinger gelobt: Sollte sie je ein neues Leben beginnen können, werde sie für Kirche und Gesellschaft tätig werden, schilderte Gabriele Stöger-Spevak. Nach Freilassung und Rückkehr dank des Staatsvertrags 1955 wurde – neben Gründung des Afro-Asiatischen Instituts (AAI) – ihre Initiative samt Spendensammlung für die Wotruba-Kirche eine ihrer Wohltaten.