Zum Paradies? Immer die Stufen entlang!
Der letzte „Höhenrausch“führt noch einmal über die Dächer von Linz: In frischer Luft wird einer irdischen Sehnsucht nachgespürt.
Wer den ganzen Weg gegangen ist, also alle Ausstellungsräume besucht, die Freiluftdecks mit Blick auf Linz überquert und auch die Dachböden durchschritten hat, wird am Schluss über eine schmale Treppe ins Innere der Linzer Ursulinenkirche gelotst. Dort endet der diesjährige „Höhenrausch“. Und weil der Parcours mit zeitgenössischer Kunst heuer nach Wegen zum Paradies fragt, wirkt das Zielambiente durchaus stimmig.
Dass alles Paradiesische allein in der Rückbesinnung auf den katholischen Glauben zu finden wäre wie in Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“, wird mit der Streckenführung aber nicht nahegelegt.
Paradiesisch kann auch ein Kirschgarten über den Dächern von Linz sein, eine mysteriöse Nebelwand – oder ein üppiges Meer aus Blüten und Pflanzen: Mit Fototapeten in kräftig leuchtenden Farben hat das US-Künstlerduo Fallen Fruit den ganzen Eingangsbereich im Linzer OK Kulturzentrum austapeziert, wo der Rundgang beginnt. Aber die bunte Vielfalt täuscht: Alle Blüten, die da im Überfluss dargestellt würden, seien in Wirklichkeit bedrohte Arten, sagt Rainer Zendron beim „Höhenrausch“-Rundgang am Mittwoch. Als Kokurator von Martin Sturm, dem Direktor des Kulturquartiers, hat er die Ausstellung mitgestaltet. Der heurige „Höhenrausch“wird der letzte in der Reihe sein, die 2009 im Linzer Kulturhauptstadtjahr begann. Das Rezept, Zugänge zu zeitgenössischer Kunst mit einem Erlebnisparcours und breit angelegten Themen zu schaffen, war erfolgreich. Mehr als 1,3 Millionen Besucher wurden seit 2009 gezählt. Die Hürden lagen beim „Höhenrausch“nicht in den Kunstpositionen, sondern eher in den zu überwindenden Stufen, die bis zum hölzernen Aussichtsturm hoch über den Linzer Dächern führen.
Im heurigen Finale zeigen Werke von 40 Künstlerinnen und Künstlern auch, wie verlockend und wie irreführend sich die Suche nach dem Paradiesischen gestalten kann. Der Titel der Ausstellung „Wie im Paradies“schließt Scheinparadiese mit ein. Im Swingerclub sind sie ebenso zu finden wie im Geschäft für Babybedarf – zumindest, wenn es nach Firmennamen wie „Mon Paradiso“und „Windelparadies“geht, die Elisabeth Kramer in ganz Österreich aufliest und auf schwarz-weiße Plakatwände druckt. Die große Leere hinter solchen Versprechungen hält etwa Gregor Graf fest: Er hat ein verlassenes Shoppingcenter fotografiert, in dem nur noch die fast religiös angehauchte Architektur an die Konsumgläubigkeit erinnert. Schon seit dem Vorjahr wachsen auf dem großen Freideck Eva Schlegels Kirschbäume. Der „Höhenrausch“, eigentlich für 2020 geplant, wurde im Pandemiesommer in eine „Verweilzone“an der frischen Luft umgewandelt. Auch ein zweiteiliges Spiegellabyrinth hat Schlegel installiert: „Der Betrachter kann sich darin nicht selbst sehen “, erläutert die Künstlerin. „Wie in einem Kaleidoskop tun sich unendliche Räume auf.“Das Paradies: ein
Projektionsort für menschliche Sehnsüchte? Oder doch eine Zone, die vom Diesseits aus betrachtet immer nebulös bleiben muss?
Mit der Frage spielt die Skulptur aus Kunstnebel von Fujiko Nakaya, die sich alle zehn Minuten neu aufbaut und vom Wind geformt wird. Wenn es im Sommer auf dem Dachdeck 35 Grad habe, entfalte der Sprühnebel durchaus paradiesische Nebeneffekte, sagt Kokurator Zendron.
Gedankenspiele über eine Zukunft im Jahr 2047 zwischen Utopie und Dystopie lassen sich in der Installation des Kollektivs Time’s Up anstellen. Zu den visuell eindrücklichen Arbeiten gehören auch die Installation mit mechanischem Vogelgezwitscher von Hsiao ShengChien auf dem Dachboden oder die in Bienenwachs getauchten Liebesgedichte aus mehreren Jahrtausenden von Katharina Struber.
Marina Abramović führt die Suche nach dem Paradies ins andere Extrem: Sie beißt in einem Video nicht in einen verlockenden Apfel, sondern verzehrt unter Tränen eine rohe Zwiebel. Und Sonja Meller webt einen Spruch des Mystikers Rumi mit Golddraht zwischen zwei Sträucher, die man nur beim genauen Hinsehen entdeckt: Das Paradies, schlug er vor, könne man auch in sich selbst suchen.
Ausstellung: