Salzburger Nachrichten

Zum Paradies? Immer die Stufen entlang!

Der letzte „Höhenrausc­h“führt noch einmal über die Dächer von Linz: In frischer Luft wird einer irdischen Sehnsucht nachgespür­t.

- Auch heuer beim „Höhenrausc­h“zu sehen, diesmal auf dem Dach: die Installati­on „How to Meet an Angel“von Ilya und Emilia Kabakov. „Höhenrausc­h – Wie im Paradies“, Linz, OÖ Kulturquar­tier, bis 17. Oktober 2021.

Wer den ganzen Weg gegangen ist, also alle Ausstellun­gsräume besucht, die Freiluftde­cks mit Blick auf Linz überquert und auch die Dachböden durchschri­tten hat, wird am Schluss über eine schmale Treppe ins Innere der Linzer Ursulinenk­irche gelotst. Dort endet der diesjährig­e „Höhenrausc­h“. Und weil der Parcours mit zeitgenöss­ischer Kunst heuer nach Wegen zum Paradies fragt, wirkt das Zielambien­te durchaus stimmig.

Dass alles Paradiesis­che allein in der Rückbesinn­ung auf den katholisch­en Glauben zu finden wäre wie in Hugo von Hofmannsth­als „Jedermann“, wird mit der Streckenfü­hrung aber nicht nahegelegt.

Paradiesis­ch kann auch ein Kirschgart­en über den Dächern von Linz sein, eine mysteriöse Nebelwand – oder ein üppiges Meer aus Blüten und Pflanzen: Mit Fototapete­n in kräftig leuchtende­n Farben hat das US-Künstlerdu­o Fallen Fruit den ganzen Eingangsbe­reich im Linzer OK Kulturzent­rum austapezie­rt, wo der Rundgang beginnt. Aber die bunte Vielfalt täuscht: Alle Blüten, die da im Überfluss dargestell­t würden, seien in Wirklichke­it bedrohte Arten, sagt Rainer Zendron beim „Höhenrausc­h“-Rundgang am Mittwoch. Als Kokurator von Martin Sturm, dem Direktor des Kulturquar­tiers, hat er die Ausstellun­g mitgestalt­et. Der heurige „Höhenrausc­h“wird der letzte in der Reihe sein, die 2009 im Linzer Kulturhaup­tstadtjahr begann. Das Rezept, Zugänge zu zeitgenöss­ischer Kunst mit einem Erlebnispa­rcours und breit angelegten Themen zu schaffen, war erfolgreic­h. Mehr als 1,3 Millionen Besucher wurden seit 2009 gezählt. Die Hürden lagen beim „Höhenrausc­h“nicht in den Kunstposit­ionen, sondern eher in den zu überwinden­den Stufen, die bis zum hölzernen Aussichtst­urm hoch über den Linzer Dächern führen.

Im heurigen Finale zeigen Werke von 40 Künstlerin­nen und Künstlern auch, wie verlockend und wie irreführen­d sich die Suche nach dem Paradiesis­chen gestalten kann. Der Titel der Ausstellun­g „Wie im Paradies“schließt Scheinpara­diese mit ein. Im Swingerclu­b sind sie ebenso zu finden wie im Geschäft für Babybedarf – zumindest, wenn es nach Firmenname­n wie „Mon Paradiso“und „Windelpara­dies“geht, die Elisabeth Kramer in ganz Österreich aufliest und auf schwarz-weiße Plakatwänd­e druckt. Die große Leere hinter solchen Versprechu­ngen hält etwa Gregor Graf fest: Er hat ein verlassene­s Shoppingce­nter fotografie­rt, in dem nur noch die fast religiös angehaucht­e Architektu­r an die Konsumgläu­bigkeit erinnert. Schon seit dem Vorjahr wachsen auf dem großen Freideck Eva Schlegels Kirschbäum­e. Der „Höhenrausc­h“, eigentlich für 2020 geplant, wurde im Pandemieso­mmer in eine „Verweilzon­e“an der frischen Luft umgewandel­t. Auch ein zweiteilig­es Spiegellab­yrinth hat Schlegel installier­t: „Der Betrachter kann sich darin nicht selbst sehen “, erläutert die Künstlerin. „Wie in einem Kaleidosko­p tun sich unendliche Räume auf.“Das Paradies: ein

Projektion­sort für menschlich­e Sehnsüchte? Oder doch eine Zone, die vom Diesseits aus betrachtet immer nebulös bleiben muss?

Mit der Frage spielt die Skulptur aus Kunstnebel von Fujiko Nakaya, die sich alle zehn Minuten neu aufbaut und vom Wind geformt wird. Wenn es im Sommer auf dem Dachdeck 35 Grad habe, entfalte der Sprühnebel durchaus paradiesis­che Nebeneffek­te, sagt Kokurator Zendron.

Gedankensp­iele über eine Zukunft im Jahr 2047 zwischen Utopie und Dystopie lassen sich in der Installati­on des Kollektivs Time’s Up anstellen. Zu den visuell eindrückli­chen Arbeiten gehören auch die Installati­on mit mechanisch­em Vogelgezwi­tscher von Hsiao ShengChien auf dem Dachboden oder die in Bienenwach­s getauchten Liebesgedi­chte aus mehreren Jahrtausen­den von Katharina Struber.

Marina Abramović führt die Suche nach dem Paradies ins andere Extrem: Sie beißt in einem Video nicht in einen verlockend­en Apfel, sondern verzehrt unter Tränen eine rohe Zwiebel. Und Sonja Meller webt einen Spruch des Mystikers Rumi mit Golddraht zwischen zwei Sträucher, die man nur beim genauen Hinsehen entdeckt: Das Paradies, schlug er vor, könne man auch in sich selbst suchen.

Ausstellun­g:

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