„Die Ware muss verträglicher zum Kunden gebracht werden“
BIRGITTA SCHÖRGHOFER
Die steirische Knapp AG zählt zu den weltweit führenden Anbietern von Lagerlogistik und -technologie. Die SN sprachen mit Vorstand Franz Mathi über den E-CommerceBoom, was auf der letzten Meile noch zu tun ist und was uns kleine Händler in den USA voraushaben.
SN: Herr Mathi, die Knapp AG beschäftigt weltweit 5000 Mitarbeiter, jetzt suchen Sie auf einen Schwung 1000 weitere, davon 500 für die Zentrale in Hart bei Graz. Hat Corona ein Erdbeben in der Lagertechnologie verursacht?
Franz Mathi: Wir hatten zuletzt schon im Schnitt alle drei bis fünf Jahre eine Verdoppelung. Aber dass es zu einem Umsatzwachstum wie jetzt kommt, das war uns vor einem Jahr noch nicht bewusst. Wir sind jetzt fünf Jahre voraus und rechnen heuer mit einem Umsatz von 1,5 Mrd. Euro, ein Plus von 50 Prozent.
SN: Wer sind die Treiber?
Wir sehen einen sehr starken Wachstumsmarkt in den USA, das hat nicht unbedingt mit der Pandemie zu tun, sondern mit einem allgemeinen Trend, der stark in Richtung E-Commerce geht, etwa im Lebensmittelbereich. Derzeit machen wir 60 bis 65 Prozent unserer Umsätze in Europa, zirka 20 Prozent in den USA. Das verschiebt sich jetzt. In den nächsten Jahren werden wir 60 Prozent der Umsätze in den USA machen und 40 bis 30 Prozent in Europa und anderen Ländern.
SN: Viele haben bei Lager noch Halle und Gabelstapler im Kopf. Wie sieht heute ein modernes Lager aus?
Im Prinzip ist das Hightech, was wir einbauen und von unseren Kunden betrieben wird. Im Wesentlichen dreht sich alles ganz stark über Software, weil dort Prozesse gebildet werden. Wir liefern Softwareprodukte von der distribuierenden Ebene bis runter zur Echtzeitebene, darüber hinaus noch jede Menge Analysetools. Es geht darum, unterschiedliche Prozesse miteinander zu verbinden, wie etwa den klassischen stationären Handel um den Sektor E-Commerce anzureichern.
SN: In der Coronazeit hat man gesehen, dass sich gerade kleinere Einzelunternehmen damit noch sehr schwer tun.
Ja, weil klein strukturierte Unternehmungen bisher stark auf einen Absatzkanal gesetzt haben, der hilft aber nur bedingt bis gar nicht, wenn Läden zu schließen sind.
SN: Wie verknüpft man stationären Handel und E-Commerce?
E-Commerce ist sehr kleinteilig, der Konsument braucht oft nicht mehr als ein Hemd oder eine Hose. In einem Shop dagegen muss man eine viel größere Anzahl nachfüllen. Das führt zu unterschiedlichen Anforderungen in den Warenströmen, und da braucht es für beide die richtige Technologie wie schnelle Shuttlesysteme, unterschiedliche Roboter in den Regalen, die automatisch Ware entnehmen und über ein Liftsystem zu einem Kommissionierplatz bringen.
SN: Also primär Software statt manuelles Anpacken? Software ist genau der Teil der Arbeitsvorbereitung, dessen es bedarf, um zum richtigen Zeitpunkt die richtige Ware in richtiger Qualität zu bekommen. Ziel ist, parallel in einer kurzen Anzahl von Stunden so viele Aufträge wie nur irgendwie möglich bedienen zu können. Derjenige, der Ware schnell verkauft, wird derjenige sein, der das wahrscheinlich auch am günstigsten und attraktivsten machen und eine große Kundenanzahl bedienen kann.
SN: Wie sehr ist künstliche Intelligenz schon Teil der Lagertechnologie?
Das ist ein ganz wesentliches Thema. Mit künstlicher Intelligenz können Sie die klassischen Algorithmenund Programmiermethoden ein Stück weit verlassen und über Ansätze dieser neuronalen Netze schneller zu Lösungsvorschlägen kommen. Wir beschäftigen uns auch sehr stark mit Strategien im Materialfluss, etwa, welchem Artikel gibt man Aufgrund der Vielzahl der Aufträge, die es zu bedienen gilt, den Vorrang.
SN: Kann Lagertechnologie auch helfen, CO2 einzusparen und Ressourcen zu schonen? In Österreich soll unter anderem die Mehrwegflasche kommen. Wir betreiben solche Mehrwegflaschenlager bereits in Deutschland. Das sind Lager in der Nähe der Abfüllung, um Logistik kurz zu halten. Man versucht einen Kreislauf zu bilden, dafür bieten wir eigens entwickelte Sortierlösungen an. Über Bilderkennung kann das Leergut anhand der Flaschenöffnungen zugeordnet werden. Künstliche Intelligenz hilft dabei, dass auf dem richtigen Sortierbahnhof die richtige Kiste mit der richtigen Leerflasche an den richtigen Produzenten geht.
SN: Was ist mit der letzten Meile in der Lieferkette?
Die letzte Meile ist ein ungelöstes Problem, da ist in der Tat noch viel zu tun. E-Commerce ist nicht unbedingt die umweltfreundlichste Methode, Ware in den Verkehr zu bringen. Der innerstädtische Verkehr steigt, es wird Maßnahmen geben müssen, die Ware verträglicher zum Kunden zu bringen. So wie es heute passiert, ist das kein zukunftsweisendes Modell. Ich bin überzeugt, dass es in den Sortierketten eine starke Veränderung geben wird.
SN: Wie geht das besser?
Die Verteilung der Ware wird mehr und mehr in Zusammenhang mit Verfügbarkeit und der richtigen Lieferzeit gesehen, man beginnt, die Lieferkette vom Konsumenten aus betrachtet aufzuziehen. Wann und wo ist er in der Lage, die Ware anzunehmen? Heute haben wir eine Push-Operation, da drückt jemand die Ware in den Handel, ob sinnvoll oder nicht, ist dahingestellt. Das wird in der Software jetzt stark in Richtung Pull-Operation umgebaut. Die ganze Lieferkette wird mit einbezogen.
SN: Gibt es schon Beispiele?
Über Lagertechnologie lässt sich Verkehr reduzieren, es gibt immer mehr solche Projekte. Ein in den USA sichtbarer Trend sind sogenannte Micro-Fulfillment-Center. Das sind gemeinsam genutzte kleinere Lagerflächen, die entlang der
Wege bestehender Händler angesiedelt sind. Über eine Onlineplattform kann der Konsument dort seine Ware bestellen und auf dem Nachhauseweg im Vorbeifahren ohne Parkplatzsuche abholen. Der Kunde macht hier die letzte Meile. Wir betreuen derzeit in den USA 30 Micro-Fulfillment-Center, in Paris zwei, in Australien bauen wir gerade drei.
SN: Was denken Sie, wenn
Sie online Essen bestellen? Rattert die ganze Lieferkette durch Ihren Kopf?
Ich koche lieber selbst, das halte ich auch für gesünder. Ich heiße nicht alles gut, was online passiert, nur weil ich in dem Business bin. Ich bin stark für eine Mischung und überzeugt davon, mit attraktiven Modellen eine heterogene Handelswelt in Richtung E-Commerce pushen zu können.
Franz Mathi