Salzburger Nachrichten

Viel gewollt, wenig eingelöst

Die „Stopp Corona“-App habe ihr volles Potenzial nicht ausschöpfe­n können, bestätigt Gerry Foitik vom Roten Kreuz. Ein Experte beklagt „Hauruckakt­ionen“im heimischen IT-Bereich.

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Mit dem Ziel, die Infektions­kette in der Bevölkerun­g möglichst rasch zu unterbrech­en, ist die „Stopp Corona“-App des Roten Kreuzes im März 2020 gestartet. Dreizehn Monate später fällt eine Bilanz des IT-Projekts ambivalent bis ernüchtern­d aus. Eine große Breitenwir­ksamkeit konnte nach Debatten über Freiwillig­keit und Datenschut­z nie erreicht werden, die Mehrheit jener, die einst die App herunterge­laden haben, nutzt sie kaum oder gar nicht. Es ist denkbar, dass sie heuer noch aus den Stores genommen wird.

„Die Möglichkei­ten dieser App wären noch viel größer gewesen, wenn mehr Leute sie regelmäßig genutzt hätten“, räumt auch Bundesrett­ungskomman­dant Gerry Foitik im SN-Gespräch ein. Er verweist aber auf 1,43 Millionen Downloads und 560.000 aktive Nutzer. Für die Menschen in Österreich habe sich die „Stopp Corona“-App rentiert, betont Foitik. Laut einem Rechenmode­ll seien 2700 Infektione­n direkt und 117.000 Infektione­n indirekt durch die App vermieden worden. Auch habe man 50 Todesopfer direkt und 230 indirekt verhindern können: „Das zahlt sich schon aus“, sagt Foitik, der die App-Kosten mit drei Millionen Euro beziffert. Die Entwicklun­gskosten – beauftragt wurde die Firma Accenture – in der Höhe von zwei Millionen Euro gehen, wie berichtet, auf eine Spende der Uniqa-Stiftung zurück, eine Million kommt vom Bund.

Leider habe die App ihr volles Potenzial nicht ausschöpfe­n können, betont Foitik. Die Gründe? „Die App wurde sehr schnell präsentier­t in einer Version, die noch nicht 100prozent­ig ausgereift war.“Wenn man Pionier sei, bekomme man eben die ganzen Kinderkran­kheiten ab. Auch musste die Entwicklun­g zwei Mal adaptiert werden, „weil sich eben in der Pandemie viel verändert hat“. Wenn man vorher schon gewusst hätte, wie sich das mit Apple und Google weiterentw­ickeln wird, hätte man, so Foitik, wie andere Länder zuwarten und im Sommer einsteigen können. Die beiden IT-Riesen haben bekanntlic­h eine Schnittste­lle entwickelt, die der App zugutekomm­t. „So hätten wir uns auch die Diskussion­en über die freiwillig­e Nutzung und Datenschut­z erspart“, sagt Foitik. Wie es mit der App weitergehe­n wird? Für Foitik entsteht im Sommer, wenn viele in Österreich geimpft sein werden, eine neue Situation:

„Die werden die App nicht mehr verwenden und weil die Impfskepti­ker wahrschein­lich auch App-Skeptiker sind, hat die App irgendwann ihre Daseinsber­echtigung verloren.“Gespräche mit anderen EU-Staaten und dem heimischen Gesundheit­sministeri­um sollen die Zukunft der App klären.

Aus dem Gesundheit­sministeri­um heißt es, dass eine Integratio­n der EU-konformen Nachweise (inklusive QR-Code) oder nur des QRCodes in die „Stopp Corona“-App derzeit nicht angedacht sei. Die anonyme Nutzung der App und die Integratio­n des Nachweises ließen sich technisch nicht vereinbare­n.

Nikolaus Forgó, Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisi­erung im Recht an der Uni Wien, spricht im Zusammenha­ng mit der App von einer „vertanen Chance“: „In Krisensitu­ationen kommt es gern zu Hauruckakt­ionen bei IT-Lösungen.“Dabei müsse man in diesen Fragen sehr vorsichtig sein, betont Forgó mit Hinweis auf die aktuelle Diskussion um den Grünen Pass: „Da beginnen wir in eine ganz ähnliche Richtung wie bei der Corona-App zu laufen.“Der Jurist hat bereits im März 2020 ein Gutachten über die App für den Datenschut­zrat verfasst: „Ich wollte, dass man gesetzlich absichert, dass die Menschen kein persönlich­es Risiko eingehen, wenn sie diese App nutzen.“Dazu sei es aber nicht gekommen.

Dass die App kaum jemand nutzen und sie auch nicht weiterentw­ickelt werde, habe er bereits vor einem Jahr prognostiz­iert, sagt Forgó. Den von Foitik ins Spiel gebrachten Zahlen geretteter Menschenle­ben entgegnet der Jurist: „Vielleicht hätte man, wären die drei Millionen Euro anderwärti­g investiert worden, noch mehr Tote verhindern können? Man weiß es nicht.“Das App-Projekt müsse in jedem Fall profession­ell abgeschlos­sen werden: „Es auf österreich­ische Art einschlafe­n zu lassen ist aus epidemiolo­gischer und datenschut­zrechtlich­er Sicht kein guter Zugang. Das muss alles klar kommunizie­rt werden.“

„Die App verhindert­e Todesopfer.“

Gerry Foitik, Rettungsko­mmandant

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25. März 2020 vom Roten Kreuz veröffentl­icht: die „Stopp Corona“-App.
BILD: SN/GEORGES SCHNEIDER/PICTUREDES­K.COM Wurde am 25. März 2020 vom Roten Kreuz veröffentl­icht: die „Stopp Corona“-App.
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