Das Leid danach
Barbara Oberrauter ist die Cousine von Nadine W., die am 5. März von ihrem Ex-Freund angezündet wurde und am 5. April starb. Den SN erzählt sie, wie man als Hinterbliebener damit umgeht.
Wie geht es den Angehörigen nach einem Mord? Die Cousine eines Opfers erzählt.
Die vergangenen Wochen waren für Barbara Oberrauter vor allem eines: unbegreiflich. Der 5. März hat nicht nur ihr Leben verändert, sondern auch das ihrer gesamten Familie. „Wir haben im ersten Moment gar nicht begriffen, dass das die Trafik von Nadine ist.“Dann, nach und nach, wird alles zur furchtbaren Gewissheit: Nadine W., 35 Jahre alt, ist in ihrem Geschäft in der Wiener Nussdorferstraße von ihrem Ex-Freund mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet worden. Er sperrt sein Opfer auch noch in der Trafik ein, die Frau kann sich nur unter Mithilfe couragierter Passanten, die einen Einkaufswagen in die Auslagenscheibe werfen, ins Freie retten. Dort gibt sie mit letzter Kraft bekannt, wer der Täter war. Dann wird sie im Eiltempo ins künstliche Koma versetzt. „Es gab dann immer wieder Hoffnungsschimmer, weil sie ja stabil war. Aber über den Berg war Nadine nie.“So richtig Hoffnung, dass alles wieder werde, sei in den vier Wochen bis ihrem Tod am 5. April nie aufgekeimt.
„Es ist“, sagt Barbara Oberrauter, „eine Wunde, die wohl niemals heilen wird. So etwas kann man nicht abhaken.“Dass seither etliche weitere Frauen von Partnern und ExPartnern
getötet wurden, kann sie nicht begreifen. „Vielleicht ist es ja doch Corona, dass da etwas gedeckelt war, das sich jetzt entlädt.“Und auch in der Nacht auf Donnerstag: Wieder zwei Frauen tot. Wieder ist der Täter allem Anschein nach ein Mann. Und wieder war das Opfer die frühere Partnerin. Sowie deren Mutter.
„Als ich das hörte, dachte ich: So, jetzt fühle ich mich nicht mehr hundertprozentig sicher. Das erste Mal in meinem Leben. Ich meine, ist das jetzt üblich? Muss ich mir Sorgen machen?“Oberrauter hält kurz inne. „Das war kein angenehmer Moment. Bis jetzt habe ich es offenbar geschafft, all das wegzuschieben.“
Nadine W. habe sich trotz anhaltender Spannungen in der Beziehung nicht an eine Beratungsstelle gewandt. „Sie hat einen Detektiv engagiert. Einfach als Schuss vor den Bug.“Barbara Oberrauter ist überzeugt, ihre Cousine habe sich nicht als Opfer gesehen. „Sie wollte das selbst in die Hand nehmen. Nadine wurde gewürgt, geschlagen und angezündet – und hat es dennoch geschafft, den Täter zu nennen und einen Monat lang um ihr Leben zu kämpfen. Nein, sie war kein Opfer.“
Oberrauter ist überzeugt, dass man einen Instinkt dafür entwickelt, ab wann es gefährlich wird. Auch ihre Cousine habe den gehabt. „Doch selbst der Anruf bei der Polizei ist nicht so einfach. Das erfordert viel Mut. Und es schwingt stets die Hoffnung mit, dass sich eh wieder alles beruhigt.“In solchen Situationen kämen viele Gefühle zusammen, die mitunter so gar nicht zusammenpassten. „Aber sie sind da, und zwar gleichzeitig.“Außerdem habe Nadine W. außerhalb von Wien gewohnt, „wo man noch schief angeschaut wird, wenn man auszieht oder Hilfe holt“.
Bei den Hinterbliebenen herrsche Trauer, Leere, aber auch Betriebsamkeit. Das Leben müsse weitergehen, Kinder müssten versorgt und Jobs erledigt werden. „In der ersten Phase befinden sich Betroffene in einer Art Schockstarre, wo sie nur funktionieren. Das geht auch eine Zeitlang“, erklärt Brigitta Pongratz von der Verbrechensopferhilfe Weißer Ring. Die Expertin empfiehlt, in solchen Fällen den Opfernotruf 0800/112 112 zu wählen. „Man ruft an und erzählt seine Geschichte. Rund um die Uhr und anonym. Das gilt übrigens nicht nur für unmittelbar Betroffene. Es ist uns aber klar, dass es eine große Hürde darstellt, irgendwo anzurufen und um Hilfe zu bitten.“
Doch sich nach traumatischen Erlebnissen begleiten zu lassen sei auf jeden Fall sinnvoll. „Es geht darum, das Ereignis einzuordnen, einen Platz dafür zu schaffen im Leben“, sagt Pongratz.
In das Leben von Barbara Oberrauter ist der Alltag noch längst
„Das Ereignis einordnen und einen Platz dafür im Leben schaffen.“
Brigitta Pongratz, Weißer Ring
nicht zurückgekehrt. „Derzeit wird der Nachlass Nadines abgewickelt. Das wird noch etwas dauern.“Und dann sind da ja noch die rund 45.000 Euro. Oberrauter hatte unmittelbar nach dem Anschlag auf ihre Cousine zu einer Spendenaktion aufgerufen. 2000 Euro hat sie sich erwartet. Ein Vielfaches ist es geworden. „Wir haben natürlich allen Spendern angeboten, das Geld zurückzugeben. Aber nur ganz wenige haben davon Gebrauch gemacht.“Mit dem Geld, womit man die langwierige Rehabilitation finanzieren wollte, wurde nun das Begräbnis bezahlt. Zumindest mit einem Teil davon. Was mit dem Rest geschehen soll, darüber konnte sich noch niemand den Kopf zerbrechen. Die Beerdigung der 35-Jährigen ist kaum drei Wochen her.
Wenn sich Barbara Oberrauter etwas wünschten dürfte, dann wäre das eine Art Alarmknopf für Frauen, die in gewalttätigen Beziehungen leben. „Man drückt ihn und schon kommt jemand. Das würde auch beim Täter den Blickwinkel sofort verändern.“