Salzburger Nachrichten

Das Böse ist in allen Schichten zu Hause

Gewalt gegen Frauen ist in allen Lebenslage­n und Schichten zu Hause. Staat und Gesellscha­ft müssen sich einmischen.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Der schwache Trost zuerst: Internatio­nal betrachtet liegt Österreich bei der Anzahl der Morde gemessen an der Einwohnerz­ahl ganz weit hinten in der Statistik. Es gibt nur ein paar Länder auf der Welt, in denen noch weniger getötet wird. Aber: Bei uns werden anteilsmäß­ig mehr Frauen als irgendwo sonst umgebracht, und vor allem mehr Frauen als Männer.

Das ist einzigarti­g und schmerzt sehr.

Die politische­n Erklärungs­muster sind so einfach wie falsch: Es seien die Ausländer oder „zumindest“Einheimisc­he mit Migrations­hintergrun­d, heißt es, es seien die Arbeitslos­en, die Alkoholike­r, die Verlierer im sozialen Wettbewerb, die der Reihe nach Frauen ermordeten. Heuer sind es bereits elf, im vergangene­n Jahr waren es 31, 2018 gar 41.

Die Wahrheit ist: Das Böse ist immer und überall. Es ist in allen Gesellscha­ftsschicht­en zu Hause, Gewalt gegen Frauen bis hin zum Mord kennt keine Klassenunt­erschiede, geschlagen, gewürgt, gestochen und geschossen wird in den besten Kreisen ebenso wie in der Gosse. Es ist fast immer eine Frage von Macht und Ohnmacht und nicht eine von ethnischer Herkunft, Glauben oder Standeszug­ehörigkeit.

Die Politik ist wie in vielen anderen Problember­eichen auch in diesem Fall auf das Kurieren von Symptomen ausgericht­et. Im Anlassfall werden allerlei Kommission­en ins Leben gerufen und kleinere Sonderbudg­ets für Projekte freigemach­t. Sehr bald ist die Geschichte aber wieder vergessen. An die Bekämpfung der Ursachen denkt dann kaum noch jemand.

Der Staat muss daher mehr unternehme­n als die bisher bekannten Alibiaktio­nen. Aktiver Polizeisch­utz für gefährdete Frauen und aktive Überwachun­g von potenziell­en Tätern sind nur zwei Bereiche, wo Handlungsb­edarf besteht. Dazu kommt Grundlagen­arbeit in Beratung, Erziehung, Prävention. Unser gesamtes Gesellscha­ftsbild vom typisch männlichen Problemlös­er Gewalt gehört umgekrempe­lt.

Ausbrüche bis hin zur Ermordung eines Menschen haben meist eine Vorgeschic­hte. Sehr oft gehen ihnen lange Leidensges­chichten voraus. Die ereignen sich selten im stillen Kämmerlein, sondern oft vor den Augen und Ohren von Angehörige­n, Nachbarn, Freunden und Arbeitskol­legen. Auch wir als Gesellscha­ft sind aufgerufen, unsere Augen nicht vor der Gewalt zu verschließ­en, die mitten unter uns passiert. Niemand mischt sich gern in private Konflikte ein. Doch es gibt Grenzen. Eine Anzeige im Notfall hat mit Vernadern nichts zu tun. Sie kann Leben retten. Und darum geht es.

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