Die Liebe verweigert
Nirgendwo auf der Welt werden weniger Kinder geboren als in Südkorea. Der Grund: Viele Frauen wollen keine Beziehung.
„Krieg der Geschlechter“: In Südkorea wollen viele Frauen keine Beziehung.
In Südkorea macht seit einiger Zeit ein Begriff die Runde, der zu denken gibt: Es ist der Anglizismus „gender war“, auf Deutsch Geschlechterkrieg. Der Begriff beschreibt , das viele Menschen wahrnehmen: einen zusehends harscher werdenden Streit über Frauen- und Männerbilder. Während der Konflikt maßgeblich in den digitalen Sphären sozialer Medien ausgetragen wird, hat er seinen Ursprung in den sehr realen Strukturen des Alltags.
Kaum ein liberaler Industriestaat diskriminiert Frauen so stark wie Südkorea. Im „Gender Gap Report “des Weltwirtschaftsforums, das die Gleichbehandlung der Geschlechter in Arbeitsmarkt, Politik, Bildung und Gesundheit misst, landet Südkorea auf Platz 102 von 156. Besonders schlecht schneidet das Land auf dem Arbeitsmarkt ab. Anfang des vergangenen Jahres machte das Land noch auf eine andere Weise Schlagzeilen: Die Fruchtbarkeitsrate lag bei 0,84. Nirgendwo auf der Welt ist der Wert niedriger. Bis auf Weiteres wird die Bevölkerung des Landes ab 2027 schrumpfen.
Hört man jungen Frauen zu, so hängt das eine mit dem anderen direkt zusammen. „Die meisten Männer hassen selbstbewusste Frauen“, sagt Jeong Sumi. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin bei einem Thinktank zählt auf: „Sie wollen nicht,
dass du deine eigene Meinung hast, und auch nicht, dass du gut ausgebildet bist. Du sollst nur ihre Hausfrau sein. Aber so ein Leben will heute keine moderne Frau.“„Deswegen beschimpfen sie uns ja auch als Feministinnen“, sagt ihre 31-jährige Freundin Jaeyeon Seok, die in einem Callcenter arbeitet. „Und wir beschimpfen sie als hangukman“, sagt Jeong Sumi und lacht nicht ohne Häme. Hangukman übersetzt sich einfach mit „koreanischer Mann“. Das sei nämlich fast gleichbedeutend mit reaktionären Einstellungen gegenüber Frauen. Nach kurzem Schweigen sagt Jeong Sumi: „Wenn die Männer von heute keine Frauen von heute wollen, bekommen sie halt keine. Ich konzentrier’ mich lieber auf meinen Job.“
Damit liegt sie im Trend. Kinder zu haben empfinden viele Frauen in Südkorea nicht mehr als verlockend. Denn: So modern und innovativ Südkorea nach außen wirkt, so konservativ, patriarchalisch und zutiefst ungerecht empfinden viele
Koreanerinnen ihr Land – und dessen Männer. Als im Herbst 2017 die MeToo-Bewegung weltweit Fahrt aufnahm, war in Südkorea etwas Ähnliches bereits explodiert. Ein Jahr zuvor hatte ein Mann, der sich offenbar von Frauen abgelehnt fühlte, auf einer öffentlichen Toilette eine fremde Frau erstochen. Der Vorfall provozierte Demonstrationen von Frauengruppen, die sich über tägliche Diskriminierung beklagten. Eine Regierungsstatistik machte die Runde, wonach alle zwei bis drei Tage eine Frau im Land ermordet wird. Daraufhin gründeten sich auch Gruppen von Männern, die sich missverstanden fühlten. Sie seien nicht frauenfeindlich, aber auf Männern laste viel mehr Druck, einen guten Job zu bekommen. Deswegen seien feministische Bewegungen polemisch, geradezu soziale Brandstiftung, hieß es.
Die Herausforderung, vor der sich viele Industrienationen sehen – Geburtenrückgang und eine überalterte Gesellschaft – , verschärft sich in Südkorea schneller als anderswo. Vor einer „nationalen Krise“warnte Präsident Moon Jae In nach seinem Amtsantritt 2017, wenn das Problem nicht bald gelöst werde. Bislang fruchten die Appelle nicht, ebenso wenig wie die aufwendig und liebevoll gestalteten Spielplätze, Kindercafés und Kindermuseen, die sich über die ganze Hauptstadt verteilen.