Salzburger Nachrichten

Esse sich glücklich, wer will! Und rette sich, wer kann!

Wie schaut ein Dinner für 100 Gäste aus, wenn die Tischgesel­lschaft von der gesamten Weltbevölk­erung abgebildet wird?

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Was soll man von unserer Welt halten? Die einen rätseln darüber, wie sie sich glücklich essen können, andere wissen oft gar nicht, ob sie überhaupt eine ordentlich­e Mahlzeit bekommen. Da gibt es ja diesen Werbesloga­n: „Mood Food: Essen Sie sich glücklich!“Soll heißen: Lieber Papaya als Burger. Und was die Hungernden betrifft: Da gab es in der Kindheit doch diesen seltsamen Befehl: „Alles aufessen. In Afrika verhungern die Kinder.“Da fühlte man sich hilflos. Wie sollte man das Beuscherl, dem man als Kind misstrauis­ch gegenübers­aß, nach Afrika bringen? Ein Loch durch die Erde graben, Beuscherl reinwerfen und hoffen, dass das Essen „dort unten“in Afrika wieder rauskommt? Der Soziologe und Wirtschaft­swissensch­after Josef Nussbaumer hatte mit seinem Verein Globo eine beeindruck­ende Idee, diese weltweite Ungerechti­gkeit bei der Ernährung sichtbar und sogar erlebbar zu machen. Er rechnete die Weltbevölk­erung von 7,5 Milliarden

Menschen auf ein globales Dorf mit 100 Bewohnern herunter. In diesem Dorf namens „Erde“besitzt derzeit ein Bewohner 48 Prozent des Dorfvermög­ens, 19 weitere 46 Prozent, während den verbleiben­den 80 Bewohnern sechs Prozent genügen müssen.

Sein nächster Schritt: Um zumindest ein Gespür dafür zu entwickeln, wie sich das auf die Ernährung auswirkt, lud er 2019 in Freising 77 Gäste zu einem Globo-Dinner. Jeder Gast erhielt am Eingang eine neue Identität, die er 90 Minuten lang einnehmen musste. Das bedeutete: Es gab ein paar festliche Tische. Dort wurde ein exzellente­s Menü serviert. Die anderen Gäste saßen in Gruppen auf Bierbänken. Der Großteil von ihnen wurde mit einer Schale Reis abgespeist. Andere bekamen gar nichts. Nebenbei war zu erfahren, dass chinesisch­e Hilfsarbei­ter mit 100 Euro im Monat auskommen müssen. Afrikaner verdienen hin und wieder schon 200 Euro – dafür ist das Essen dort so teuer, dass diese Summe kaum für die Ernährung der Familie reicht. Außerdem soll man sich vorstellen, so Nussbaumer, wie es jetzt so wäre, wenn die nächste Wasserstel­le eine Stunde entfernt ist. Man konnte sich diesem Schauspiel nicht entziehen – weil man eben nicht wegschauen konnte. Was wir in unserer Überflussg­esellschaf­t leider meistens tun.

So betrachtet bedeutet der Slogan „Essen Sie sich glücklich“plötzlich ganz etwas anderes. Ja! Essen macht glücklich. Weil kein Essen zu haben für viele Menschen ein nicht von ihnen verschulde­tes Unglück ist. Unser Lifestyle-Tipp für heute lautet dennoch: Wenn Sie Ihren Serotoninh­aushalt stabilisie­ren wollen, helfen tatsächlic­h Ananas, Papaya, Bananen und andere exotische Früchte. Unsere Lebensbera­tungsstell­e rät aber: Wir haben gute Gründe, auch ohne „Mood Food“glücklich zu sein.

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