Biden legt sich mit Big Pharma an
Wie beschafft man genügend Coronaimpfstoff für die ganze Welt? Die USA wollen die Patente für die Vakzine aussetzen. Die Pharmaindustrie ist empört.
WASHINGTON. Der Chef der WHO fand große Worte. „Das ist ein gewaltiger Moment im Kampf gegen Covid-19“, meinte Tedros Adhanom Ghebreyesus. Auch in Brüssel stieß der Vorstoß des US-Präsidenten auf Wohlwollen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen betonte, die EU sei bereit, „jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ebenfalls positiv. Die Grünen in Berlin und Brüssel schlossen sich an, die CDU reagierte mit größerer Zurückhaltung.
Mit seiner Zustimmung für eine befristete Aussetzung des Patentschutzes für Coronaimpfstoffe hat sich der US-Präsident auf die Seite der armen Länder gestellt und die Pharmakonzerne gegen sich aufgebracht. Zugleich hat er der Kritik an der eigenen Impfkampagne, die USBürger klar bevorzugt, etwas Wind aus dem Segel genommen. Ein wenig davon klang noch in einem Seitenhieb von der Leyens nach: „Europa ist die einzige demokratische Region der Welt, die Exporte im großen Maßstab erlaubt“, meinte sie.
In den USA haben mehr als 56 Prozent der Erwachsenen mindestens eine Spritze erhalten. In Indien, wo die Pandemie gerade besonders verheerend wütet, liegt der Anteil bei nur zwei Prozent. Biden hatte im März den Export von vier Millionen Impfdosen nach Kanada und Mexiko versprochen. Vor wenigen Tagen kündigte das Weiße Haus an, dass 60 Millionen Dosen des in den USA nicht zugelassenen Vakzins von AstraZeneca ausgeführt werden dürfen.
Nun erklärte US-Handelsbeauftragte Katherine Tai: „Die Regierung glaubt fest an den Schutz geistigen Eigentums, aber im Kampf um die Beendigung der Pandemie unterstützt sie die Aussetzung des Schutzes für Covid-19-Impfstoffe.“
Damit räumten die USA ihre bisherige Blockadeposition bei der Welthandelsorganisation WTO. Tai argumentierte, die Dimension der Pandemie rechtfertige außergewöhnliche Maßnahmen. Zugleich räumte sie ein, es werde einige Zeit dauern, um den nötigen globalen Konsens bei der WTO zu erreichen.
Tatsächlich laufen bei der Organisation in Genf Gespräche über eine Lockerung der Handelsregeln. Mehr als hundert Staaten unterstützen den von Indien und Südafrika eingebrachten Vorschlag zur Lockerung des Patentschutzes. Doch müssten alle 164 Mitgliedsländer zustimmen. Zahlreiche Staaten mit einflussreicher Pharma- und Biotech-Industrie
lehnen die Initiative ab. Auch in den USA übte die Branche scharfe Kritik an Bidens Vorstoß. „Das ist ein beispielloser Schritt, der die globale Antwort auf die Pandemie untergraben und die Sicherheit gefährden wird“, sagte Stephen Ubl, Sprecher der US-Pharmaindustrie.
Kritiker des Patentschutzes halten dagegen, dass die Konzerne ihre Vakzine mit erheblicher staatlicher Förderung entwickelten. So wurden die Hersteller Pfizer/Biontech und Moderna massiv mit amerikanischen und europäischen Steuergeldern unterstützt. Mit seinem Vakzin will Pfizer in diesem Jahr 26 Milliarden Dollar umsetzen. Moderna erwartet Erlöse in Höhe von 18 Milliarden Dollar. Doch bislang hat Pfizer erst zwei Prozent der hergestellten Dosen über die internationale Impfpatenschaft Covax ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt. Moderna ist der Initiative erst vor wenigen Tagen beigetreten.
Allerdings würde selbst eine Einigung der WTO auf eine Aussetzung des Patentschutzes die Produktion in der Dritten Welt kaum kurzfristig hochschnellen lassen. Eine Pfizer-Sprecherin sagte, der Impfstoff beinhalte 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern. Um das zu verarbeiten, seien komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal erforderlich. Einige Beobachter glauben daher, dass Biden vor allem Druck auf die Pharmakonzerne ausüben will, mehr Impfstoff für ärmere Länder verfügbar zu machen. Die Arzneifirmen hätten nun einen klaren Anreiz, ihr Augenmerk auf die globale Versorgung mit Impfstoffen zu lenken, „statt in diesen gewaltigen Kampf um die Patentrechte einzusteigen“, sagte Ana Santos Rutschman, Expertin für Gesundheitsrecht. Auch Patentrechtsexpertin Lisa Larrimore Ouellette von der renommierten Stanford-Universität äußerte die Hoffnung, der BidenVorstoß könne die Pharmaindustrie motivieren, „Abkommen zu schließen, mit denen sie leben kann“.