Die Welt verbessern mit allen Mitteln
Im preisgekrönten Thriller „Und morgen die ganze Welt“wird eine junge Frau Aktivistin. Doch der Kampf ist ernster als erwartet.
WIEN. Gewaltfreier Widerstand, Überzeugen mit Argumenten und konkrete Solidarität mit weniger Privilegierten: Die Ideale des linken Aktivismus reizen Luisa (gespielt von Mala Emde). Bei einem Protest gegen rechte Parolenbrüller kommt die Jusstudentin in Kontakt mit Antifa-Aktivistinnen und -Aktivisten aus einem solidarischen Wohnprojekt, wird von rechtsextremen Schlägern angegriffen, reagiert geistesgegenwärtig und entkommt.
Die Faszination für den Protest bleibt, sie besucht das Projekt, wird dort herzlich aufgenommen und zieht bald ein. Doch es ist nicht alles eitel wonniges Transparentemalen, zumal die Hassbotschaften des Gegners konkrete Gewalt nach sich ziehen. Das muss vergolten werden, findet der charismatische Alfa (Noah Saavedra): „Gewaltfreier Widerstand gegen Nazis? Das ist absoluter Schwachsinn.“
Der deutsche Politthriller „Und morgen die ganze Welt“(zu sehen auf Netflix) ist eine Ausnahmeerscheinung: Eine zeitgenössische Innenperspektive von linkem Politaktivismus hat es im deutschen Kino nicht mehr gegeben seit Hans Weingartners gefühligem „Die fetten Jahre sind vorbei“(2004), noch dazu inszeniert als spannungsgetriebener Actionfilm, der konkrete politische Parallelen nicht scheut (die AfD hat sich vergebens mehrfach über den Film beschwert).
Viel öfter gibt es deutsche Filme über Neonazis, empfehlenswert etwa „Kriegerin“von David Wnendt (2011), in dem die Protagonistin am Ende erkennt, welch entsetzlichem Irrtum sie erlegen ist. Eine so befriedigende Lösung gibt es hier jedoch nicht, zu kompliziert ist die Frage, die sich hier stellt: Wie sind die Protagonisten einer Ideologie wirkungsvoll zu bekämpfen, deren Botschaft Hass, Gewalt und Ausgrenzung
sind? Ist Gewalt als Werkzeug für die gute Sache legitim?
Die Kompetenz, diese Frage glaubwürdig zu stellen, hat Julia von Heinz durch eigene Erfahrung in ihrer Jugend bei einer antifaschistischen Gruppierung erworben. Wie ihre Hauptfigur Luisa war auch sie eine Studentin aus gutem Hause, die bei der Antifa aktiv wurde. Im Film bleibt die rechte Szene vergleichsweise undifferenziert, auch wenn ein breites Spektrum abgedeckt wird, vom rechten, aktivistischen Studenten, der aussieht wie ein normaler konservativer Kommilitone, über die vernünftig wirkende Parteisprecherin bis zu den militanten Schlägertypen. Nicht zufällig schlägt der Netflix-Algorithmus jenen, die „Und morgen die ganze Welt“sehen wollen, auch Andres
Veiels RAF-Film „Wer, wenn nicht wir“(2011) vor. Heute ist die Linke eine andere geworden, Echos dieser Zeit kommen jedoch in der Figur des Altlinken Dietmar (Andreas Lust) vor, der erzählt von „damals, als es noch ums große Ganze ging“. Manche Motive bleiben aber offenbar gleich, etwa, dass ein attraktiver Anführertyp alle schönen Mitstreiterinnen reihum ins Bett mitnimmt.
Für Luisa ist dieses Abenteuer zwar reizvoll, doch als sie entdeckt, dass die Nazis nicht nur mit Parolen zündeln, sondern konkrete Anschläge planen, bekommen einige kalte Füße. „Und morgen die ganze Welt“handelt auch von Privilegien: Die Studenten sind in der Antifa, weil sie es halt für richtig halten, für die Proletarier in der Gruppe geht es um die blanke Existenz.
Bei den Filmfestspielen von Venedig wurde Hauptdarstellerin Mala Emde ausgezeichnet, beim Bayerischen Filmpreis gewann Julia von Heinz den Preis für die beste Regie. Angesichts der realen Bedrohung durch rechtsextreme Terroristen und der vielen bekannten Naziskandale, in die deutsche Institutionen verstrickt sind, wirkt der Film letztlich zu zahm, wie engagiertes Gymnasiastenkino, das auf ein aufklärerisches Ende mit Reue und Einsicht hofft. Zuletzt ist der Film aber bedrückend ratlos, weil ein Ende des organisierten Hasses so völlig aus der Reichweite wirkt. Genau das macht seine Aufrichtigkeit aus.
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