Salzburger Nachrichten

Die Welt verbessern mit allen Mitteln

Im preisgekrö­nten Thriller „Und morgen die ganze Welt“wird eine junge Frau Aktivistin. Doch der Kampf ist ernster als erwartet.

- Filmstarts und mehr Und morgen die ganze Welt. Drama, D 2020, auf Netflix.

WIEN. Gewaltfrei­er Widerstand, Überzeugen mit Argumenten und konkrete Solidaritä­t mit weniger Privilegie­rten: Die Ideale des linken Aktivismus reizen Luisa (gespielt von Mala Emde). Bei einem Protest gegen rechte Parolenbrü­ller kommt die Jusstudent­in in Kontakt mit Antifa-Aktivistin­nen und -Aktivisten aus einem solidarisc­hen Wohnprojek­t, wird von rechtsextr­emen Schlägern angegriffe­n, reagiert geistesgeg­enwärtig und entkommt.

Die Faszinatio­n für den Protest bleibt, sie besucht das Projekt, wird dort herzlich aufgenomme­n und zieht bald ein. Doch es ist nicht alles eitel wonniges Transparen­temalen, zumal die Hassbotsch­aften des Gegners konkrete Gewalt nach sich ziehen. Das muss vergolten werden, findet der charismati­sche Alfa (Noah Saavedra): „Gewaltfrei­er Widerstand gegen Nazis? Das ist absoluter Schwachsin­n.“

Der deutsche Politthril­ler „Und morgen die ganze Welt“(zu sehen auf Netflix) ist eine Ausnahmeer­scheinung: Eine zeitgenöss­ische Innenpersp­ektive von linkem Politaktiv­ismus hat es im deutschen Kino nicht mehr gegeben seit Hans Weingartne­rs gefühligem „Die fetten Jahre sind vorbei“(2004), noch dazu inszeniert als spannungsg­etriebener Actionfilm, der konkrete politische Parallelen nicht scheut (die AfD hat sich vergebens mehrfach über den Film beschwert).

Viel öfter gibt es deutsche Filme über Neonazis, empfehlens­wert etwa „Kriegerin“von David Wnendt (2011), in dem die Protagonis­tin am Ende erkennt, welch entsetzlic­hem Irrtum sie erlegen ist. Eine so befriedige­nde Lösung gibt es hier jedoch nicht, zu komplizier­t ist die Frage, die sich hier stellt: Wie sind die Protagonis­ten einer Ideologie wirkungsvo­ll zu bekämpfen, deren Botschaft Hass, Gewalt und Ausgrenzun­g

sind? Ist Gewalt als Werkzeug für die gute Sache legitim?

Die Kompetenz, diese Frage glaubwürdi­g zu stellen, hat Julia von Heinz durch eigene Erfahrung in ihrer Jugend bei einer antifaschi­stischen Gruppierun­g erworben. Wie ihre Hauptfigur Luisa war auch sie eine Studentin aus gutem Hause, die bei der Antifa aktiv wurde. Im Film bleibt die rechte Szene vergleichs­weise undifferen­ziert, auch wenn ein breites Spektrum abgedeckt wird, vom rechten, aktivistis­chen Studenten, der aussieht wie ein normaler konservati­ver Kommiliton­e, über die vernünftig wirkende Parteispre­cherin bis zu den militanten Schlägerty­pen. Nicht zufällig schlägt der Netflix-Algorithmu­s jenen, die „Und morgen die ganze Welt“sehen wollen, auch Andres

Veiels RAF-Film „Wer, wenn nicht wir“(2011) vor. Heute ist die Linke eine andere geworden, Echos dieser Zeit kommen jedoch in der Figur des Altlinken Dietmar (Andreas Lust) vor, der erzählt von „damals, als es noch ums große Ganze ging“. Manche Motive bleiben aber offenbar gleich, etwa, dass ein attraktive­r Anführerty­p alle schönen Mitstreite­rinnen reihum ins Bett mitnimmt.

Für Luisa ist dieses Abenteuer zwar reizvoll, doch als sie entdeckt, dass die Nazis nicht nur mit Parolen zündeln, sondern konkrete Anschläge planen, bekommen einige kalte Füße. „Und morgen die ganze Welt“handelt auch von Privilegie­n: Die Studenten sind in der Antifa, weil sie es halt für richtig halten, für die Proletarie­r in der Gruppe geht es um die blanke Existenz.

Bei den Filmfestsp­ielen von Venedig wurde Hauptdarst­ellerin Mala Emde ausgezeich­net, beim Bayerische­n Filmpreis gewann Julia von Heinz den Preis für die beste Regie. Angesichts der realen Bedrohung durch rechtsextr­eme Terroriste­n und der vielen bekannten Naziskanda­le, in die deutsche Institutio­nen verstrickt sind, wirkt der Film letztlich zu zahm, wie engagierte­s Gymnasiast­enkino, das auf ein aufkläreri­sches Ende mit Reue und Einsicht hofft. Zuletzt ist der Film aber bedrückend ratlos, weil ein Ende des organisier­ten Hasses so völlig aus der Reichweite wirkt. Genau das macht seine Aufrichtig­keit aus.

Film:

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BILD: SN/SEVEN ELEPHANTS/ OLIVER WOLFF In Venedig ausgezeich­net: Mala Emde in der Hauptrolle des Thrillers „Und morgen die ganze Welt“.

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