Der alte Mann und der Grant
Van Morrison bläst Sturm gegen angebliche Verschwörungen. Gut, dass der grantige Ire neben pauschaler Mieselsucht auch anderes parat hat.
SALZBURG. 28 neue Songs. Es ist das 42. Studioalbum seit 1967. Und Van Morrison, der irische Monolith, hält unbeirrbar daran fest, dass mit der Mischung aus Blues, Rock, Soul und Jazz immer noch die ganze Welt erzählt werden kann. Manchmal ganz einfach sogar. So weit ist alles wie immer auf „Latest Record Project, Volume 1“. Aber dann keimt doch ein bisschen Zweifel.
Der Zweifel wächst bei Van Morrison nie aus der Stimme, die – egal ob im Zorn, in der Hingabe oder in der Schmeichelei – stets etwas Überirdisches, etwas Mystisches mitschwingen lässt, das dennoch nie seine Bodenhaftung verliert. Der Zweifel kommt daher, dass sich der Zorn, den sich Van Morrison dieses Mal anmerken lässt, gefährlich an der Grenze zur Leugnung des Faktischen bewegt. Oder anders gesagt: Verschwört sich der Mann auf seine späten Tage, er feierte vergangenes Jahr seinen 75er, und mitten in einer seltsamen, unsicheren Zeit mit einigen seiner Songs gegen die Gegenwart? Ist er bloß bös’? Oder begreift er das Heute ganz einfach nicht?
Grantig war Van Morrison immer schon, auch in manchen Songs. Und jenseits der Songs und der Lyrik hält man sich als Berühmtheit mit dem Grantigsein das Unliebsame
vom Leib, etwa fragende Journalisten. Öffentlich spricht Van Morrison aber ohnehin kaum. Wenn er es jenseits seiner Songs tat, ließ er selten eine andere als die eigene Weltsicht zu. Das verstärkt den Mythos des eigenbrötlerischen Poeten, des eigensinnigen Solitärs, dessen Werk – das muss auch gesagt werden – in seinen besten Momenten tatsächlich keine Konkurrenz hat. Weil sich sein Beharren auf einer, seiner Sicht der Dinge dabei meist um seine Poetik und Musik drehte, weil es um die Frage der Annäherung an den perfekten Song ging, war Van Morrisons Eigenwelt leicht verzeihlich. So wirkt er also immer wieder wie weggetreten aus der Welt, unnahbar und abgewandt. So gelangen ihm immer wieder Verschmelzungen von Sound und Stimme, die über jede Zeit hinausragen. Und es wird auf diesen von Mystik umschwebten Werken auch jede Aktualität verweigert. Das passierte zu jeder Zeit einer Karriere, die seit den 1960er-Jahren andauert. Man höre zum Beispiel hinein in Alben wie „Astral Weeks“(1969), „Hymns to the Silence“(1991) oder „The Healing Game“(1997).
Jetzt aber scheint er plötzlich ganz hellwach und aufmerksam und zugewandt. Jedenfalls auf seine verschrobene Art. Und so schießt er in einigen der neuen Songs eine Breitseite gegen die Gegenwart.
Freilich kann man, wie er es tut, fragen: „Where Have All the Rebels Gone?“Die Antwort ist beim Blick auf die reale Welt einfach: Sie stehen freitags auf der Straßen für die Zukunft. Sie erheben die Stimme gegen sexuellen Missbrauch. Sie tragen Schilder, auf denen #BlackLivesMatter steht. Das sieht Van Morrison aber nicht. Und so ernsthaft, bitter und auch verachtend, wie er als Songtitel seine Frage formuliert – etwa auch „Why Are You on Facebook?“–, kann das nur einer machen, der bloß im Rückspiegel die Veränderung erkennt. Da stellt sich der Alte, der immer schon einen Hang zur Verschwörung hatte, also hin und vernichtet die Gegenwart, weil früher angeblich alles besser war. Er tut es aber nicht raffiniert. Es ist ein eigenartiger, pauschaler Furor gegen Medien („They Own the Media“) oder auch Wissenschaft. Seine Bedenken, dass Corona womöglich nur für eine fesche Verschwörung dienen könnte, hatte er schon im vergangenen Jahr kundgetan.
Wenn er, der alte, im Sound auch dieses Mal überragend mitreißende Musikgeist, sich damit einen ironischen Spaß erlauben wollte, wenn er mit einem Augenzwinkern die Auswüchse der Selbstdarstellung und Besserwisserei der Gegenwart anprangern wollte, ist das lyrisch gründlich gescheitert. Er verpasst der Welt, die ihm nicht passt, an vielen Stellen einfach nur zwei blaue Augen. Das ist schade. Denn es trübt das gut bekannte, bestens erprobte Vergnügen, dass Van Morrison auf den meisten anderen Songs dieses Albums bereitet. Und wenn er einmal, swingend und perlend von Orgel und Saxofon begleitet, darauf besteht, dass etwas „Only a song, only a poem“sei, ist dann auch fast alles wieder gut.
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