Zwischen Zerbrechlichkeit und Schwere hat die Vielfalt Platz
Sie wird aus einem elementaren Material gemacht, und sie kann Kunstwerk ebenso sein wie Gebrauchsobjekt: 35 Künstlerinnen und Künstler zeigen in Salzburg die Wandelbarkeit von Keramik.
SALZBURG. Was heißt hier eigentlich Keramik? Für die Objekte von Maria Baumgartner, die im großen Ausstellungsraum stehen, sei ein Begriff allein zu wenig, sagen Marianne Ewaldt und Gerold Tusch beim Gang durch die Berchtoldvilla: „Einerseits sind es Gefäße“, aber mit ihren abstrakten Formen und Farbkonzepten „sind sie auch Skulpturen und dreidimensionale Bilder“.
Maria Baumgartner ist eine von 35 Künstlerinnen und Künstlern, deren Arbeiten ab Freitag im Haus der Berufsvereinigung bildender Künstler zu sehen sind. Die Ausstellung heißt „Vielfalt – Keramik 2021“. Der Titel sei bewusst offen gewählt, sagt Ewaldt.
Es gehe darum, zu zeigen, wie viele Möglichkeiten in einem Material steckten, „das elementar, ursprünglich und zugleich zeitlos“sei, ergänzt Tusch – und das immer wieder auch in eine Wahrnehmungslücke zwischen Galeriebetrieb und angewandter Kunst falle. Marianne Ewaldt und Gerold Tusch haben die Gruppenschau (mit Simone Schuh) kuratiert. Als Künstler sind sie zugleich selbst Teil der Vielfalt, die in der Berchtoldvilla gezeigt wird. Ewaldt gilt als fixe Größe in der Keramikszene. Sie lernte bei
Arno Lehmann, dem Namensgeber des Keramikpreises, den das Land Salzburg alle drei Jahre auslobt. „Sie wohnt gleichsam in der Keramik“, sagt Tusch. Er selbst zählt – etwa mit Präsentationen im Wiener Belvedere – zu den bekannten Vertretern der jüngeren Generation. Mit der schönen Uneindeutigkeit, dass Ton einerseits ein erdig schweres, andererseits ein filigranes, zerbrechliches Material
ist, spielt er gern. Auch in Tuschs Wolkenskulpturen, die er aus der barocken Welt der Ornamente herausholt, birgt der Widerspruch Spannung.
Zugleich ist Tusch einer von nur vier männlichen Teilnehmern der Schau. Warum die Keramik so stark weiblich besetzt ist? Klare Erklärungen gebe es dafür nicht, zumal Keramik als Handwerk historisch für Frauen lange Zeit schwer zugänglich gewesen sei, sagt der Künstler. Wenn es um öffentliche Sichtbarkeit gehe, blieben Künstlerinnen bis heute tendenziell unterrepräsentiert, ergänzt Ewaldt und zieht Vergleiche zur Kochkunst: „Die Stars sind meist Männer.“
In der Berchtoldvilla wird Ausgleich geschaffen: mit den Tonköpfen von Maša Bušič, deren Blicke Besucher durch alle Stockwerke begleiten, oder dem Projekt „One Million“von Uli Aigner: Als persönliche Antwort auf die Globalisierung will die Künstlerin eine Million Gefäße formen und ihren Weg auf einer digitalen Weltkarte verzeichnen.
Barbara Reisinger macht das Ausstellen eines Materials, das Kunstwerk und Alltagsobjekt sein kann, selbst zum Thema: Robuste Schüsseln („man könnte aus ihnen auch Müsli essen“) hängen in einer filigranen Stellage an dünnen Fäden. Sonja Reisenbergers Arbeit ist ein Abschied vom verstorbenen Vater, Jutta Brunsteiner zeigt mit ihren Tonskulpturen die Veränderung von Frauenrollen. Und Marianne Ewaldt zieht eine Linie vom Nonntal nach Hellbrunn: Während dort aktuell das von ihr konzipierte Tulpenlabyrinth am Blühen ist, zeigt sie in der Berchtoldvilla ein Labyrinth aus Ton. Seit Jahrzehnten befasse sie sich mit Labyrinthen: „Sie sind ein Symbol für die Reise ins Innerste.“
„Ton ist ein Material, das elementar und zugleich zeitlos ist.“
Ausstellung: