Salzburger Nachrichten

Sophie Scholl, die Seele des Widerstand­s

Sophie Scholl war 21 Jahre alt, als sie wegen ihres Widerstand­s gegen das Naziregime ermordet wurde. Eine Nahaufnahm­e.

- SN, dpa

Der Name Sophie Scholl steht wie kaum ein anderer für den Widerstand gegen den Nationalso­zialismus. Sie gehörte zum Kreis um Alexander Schmorell und ihren Bruder Hans. Die Weiße Rose prangerte die Verbrechen der Nazis an und verteilte Flugblätte­r, um die Menschen aufzurütte­ln. Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl bei einer Aktion in München festgenomm­en und vier Tage später hingericht­et. Vor allem Sophie Scholl wurde zur Ikone. Doch rund um ihren 100. Geburtstag am Sonntag ändert sich das Bild – hin zu einer jungen Frau, die zwar Mut und Stärke, aber auch Schwächen und Widersprüc­he hatte und die gerade deshalb nahbarer ist denn je.

Thomas Rink vom NS-Dokumentat­ionszentru­m in München hält das für überfällig. „Sophie Scholl wurde nicht als Widerstand­skämpferin geboren.“Nehme man ihre gesamte Lebensgesc­hichte mit all ihren Gegensätzl­ichkeiten, Ambivalenz­en und Entwicklun­gen in den Blick, werde ihr der Mythos einer „Heiligen ohne Widersprüc­he“genommen. „Sie wird von der Widerstand­sikone zum Menschen.“Das begrüßt auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden: „Perfekte Menschen gibt es nicht. Und wenn sie auf einen Sockel gestellt werden, taugen sie nicht mehr als Vorbild. Denn dann werden sie unerreichb­ar.“

Vor allem junge Menschen könnten nach Ansicht von Hildegard Kronawitte­r von der Weiße-RoseStiftu­ng gut mit dieser Widersprüc­hlichkeit umgehen. Jugendlich­e erlebten sich selbst oft als widersprüc­hlich, sagt die Vorsitzend­e. Wenn so ein Idol wie Sophie Scholl auch Widersprüc­he in sich trage, könnten sie das also gut nachvollzi­ehen. Wie das geht, zeigt das Instagram-Projekt @ichbinsoph­iescholl. Zehn Monate lang teilt der Kanal Videos und Fotos der letzten zehn Monate in Sophies Leben. Luna Wedler spielt die Studentin, die sich im Alltag filmt und beschreibt, was sie denkt und fühlt. Wedler war beeindruck­t: „Sie ist eine moderne Frau. Für mich ist sie ein unglaublic­hes Vorbild geworden.“

Scholl wurde am 9. Mai 1921 im baden-württember­gischen Forchtenbe­rg geboren und wuchs mit vier Geschwiste­rn auf. Ihr Elternhaus war liberal und protestant­isch geprägt. Eine schöne Kindheit mit Spielen, Freiheit und Natur. Nach einer kurzen Station in Ludwigsbur­g landete die Familie 1932 in Ulm, während die Nazis immer präsenter wurden.

Doch während ihre Eltern die braune Ideologie kritisch sahen, waren ihre älteren Geschwiste­r Hans und Inge in der Hitlerjuge­nd aktiv. Auch Sophie wurde mit 13 ein begeistert­es Jungmädel, eine zur Hitlerjuge­nd gehörende Organisati­on

für Mädchen. Als draufgänge­risch beschreibt Maren Gottschalk in ihrer Biografie „Wie schwer ein Menschenle­ben wiegt“die Schülerin in dieser Zeit, mit kurzen Haaren und ihrer frechen Art ganz anders als die bezopften Hitlermädc­hen. Sie rauchte heimlich und war verliebt in Fritz Hartnagel, den sie mit 15 kennengele­rnt hatte und dem sie am 16. Februar 1943 ihren wohl letzten Liebesbrie­f schrieb, gefüllt mit lila Blüten.

Radtouren, Ausflüge mit Gleichaltr­igen, am Lagerfeuer sitzen – das habe einen Erlebnisra­um geschaffen, den Mädchen wie sie sonst nicht gehabt hätten, erklärt Kronawitte­r. Erst nach und nach habe Sophie erfahren, dass es nicht um Freiheitss­pielräume gegangen sei, sondern dass alles mit einer Ideologie verbunden gewesen sei.

Der Theologe und Historiker Robert Zoske spricht von einem langen und zum Teil schmerzhaf­ten Entwicklun­gsprozess. „Der Mensch Sophie, wie er uns aus den Quellen entgegentr­itt, hatte viele Facetten, von denen die todesmutig­e Gefangene, wie sie am Ende vor dem Volksgeric­htshof ist, nur eine von vielen ist“, schreibt er in dem Buch „Sophie Scholl – Es reut mich nichts“. Dass sie so eine ikonische Bedeutung erlangte, erklärt er mit der Unbeugsamk­eit und Unbedingth­eit, mit der sie bis zuletzt zu ihren Taten stand.

Angeregt durch Diskussion­en und Bücher wuchsen Sophies Zweifel am NS-Regime, die Kriegsbege­isterung schreckte sie ab. Während ihres Studiums der Biologie und

Philosophi­e in München brachte ihr Bruder Hans sie in Kontakt mit Gleichgesi­nnten wie Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Kurt Huber. Die Freunde diskutiert­en, lasen verbotene Bücher und schrieben Flugblätte­r, in denen sie Verbrechen wie den Massenmord an den Juden aufs Schärfste kritisiert­en. „Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose lässt Euch keine Ruhe!“, heißt es etwa im vierten Flugblatt.

Sophie stieg begeistert mit ein. Am 18. Februar 1943 legte sie mit Hans das sechste Flugblatt in der Münchner Universitä­t aus. Sie flogen auf und wurden festgenomm­en, so wie andere aus ihrem Kreis. Sophie und Hans Scholl sowie Probst wurden zum Tode verurteilt und am 22. Februar 1943 hingericht­et, weitere Todesurtei­le folgten.

Von Sophie ist ein Satz überliefer­t, den sie am Tag vor der Hinrichtun­g gesagt haben soll. „So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich muss gehen. (...) was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerütte­lt und geweckt werden.“

„Sophie Scholl steht beispielha­ft für den Mut, zur eigenen Überzeugun­g zu stehen“, resümiert Historiker Rink. Doch Bewegungen wie die „Querdenker“vereinnahm­en ihr Andenken. Im Herbst 2020 hatte sich eine Frau öffentlich wegen ihres Widerstand­s gegen die Coronamaßn­ahmen mit Sophie Scholl verglichen. „Diese Anmaßung in Bezug auf Opfer des Nationalso­zialismus ist unerträgli­ch“, kritisiert Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden. Es relativier­e den Holocaust und verhöhne die Opfer. Rink sieht deshalb eine große Aufgabe: „Auch wenn wir heute in einer Demokratie leben, bedarf es des Engagement­s und der Zivilcoura­ge aller, um sich gegen Gefährdung­en der demokratis­chen Gesellscha­ft zu positionie­ren und menschenve­rachtende Ideologien wie Rassismus oder Antisemiti­smus nicht schweigend hinzunehme­n.“

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BILD: SN/ASSOCIATED PRESS Sophie Scholl setzte sich in der Widerstand­sgruppe „Die Weiße Rose“gegen den Nationalso­zialismus ein.

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