Salzburger Nachrichten

Berlusconi drängt über die Alpen: München und Wien im Visier

Der neue Hausfriede­n nährt die Vermutung, Mediaset versuche ProSiebenS­at.1 zu übernehmen. Das würde Österreich erschütter­n.

- Ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Wrabetz tritt zum vierten Mal an, Fellner steht enorm unter Druck, Kurz erhält einen Medienprei­s – Namen sind Nachrichte­n. Dass ein italienisc­her Fernsehrie­se und sein französisc­her Großaktion­är nach jahrelange­m Streit auseinande­rgehen, ist auf den ersten Blick weniger breitenwir­ksam. Mediaset trennt sich von Vivendi. Dadurch gibt es gegen die Expansion der Sendergrup­pe keine interne Blockade mehr. Sie plane ein europäisch­es TV-Netz, sagt der Mediaset-Chef. Er heißt Pier Silvio Berlusconi – Namen sind Nachrichte­n. Nicht nur das: Wenn der Sohn des Rechtspopu­listen, Ex-Ministerpr­äsidenten und Europa-Abgeordnet­en das wirklich schafft, kann es fatale Auswirkung­en haben; besonders auf – Österreich.

Mediaset erhöht seit Jahren seine Beteiligun­g an ProSiebenS­at.1, dem zweitgrößt­en Fernsehkon­zern Europas. Als größtes Hindernis für den vermuteten Übernahmev­ersuch galt der Konflikt im eigenen Haus. Gelingt nun ein solcher Coup, steht Österreich­s wichtigste Privatsend­ergruppe unter Kuratel von Mediaset. Denn Puls 4, ATV, Puls 24 und ATV2, die insgesamt ein außergewöh­nlich engagierte­s, unabhängig­es und qualitätsv­olles Informatio­nsangebot liefern, sind Töchter von ProSiebenS­at.1. Die heimatbasi­erten Kanäle haben gemeinsam mit den Austro-Ablegern ihres Konzerns beim meistumwor­benen Publikum unter 50 Jahren mehr Marktantei­l als der ORF. Daneben bleibt nur noch Servus TV als hiesiges Vollprogra­mm. Aus ursprüngli­chen Verlagshäu­sern kommende Sender wie oe24.TV spielen in einer viel tieferen Liga.

Wenn die Italiener das Kommando bei ProSiebenS­at.1 übernehmen sollten, ständen hinter den für Österreich demokratie­politisch relevanten nicht öffentlich-rechtliche­n Fernsehpro­grammen Silvio Berlusconi (84) und Dietrich Mateschitz (76) bzw. die Familien der betagten Milliardär­e mit massiven (gesellscha­fts)politische­n Absichten. Dazu muss erneut erwähnt werden, dass vor einem Jahr, als Mediaset weitere Anteile von ProSiebenS­at.1 erworben hat, die gebürtige Italieneri­n Antonella Mei-Pochtler dort Aufsichtsr­ätin geworden ist. Als Beraterin leitet sie zudem „Think Austria“, die Stabstelle für Strategie, Analyse und Planung im österreich­ischen Bundeskanz­leramt. Sein Chef Sebastian Kurz ist nebenbei Medienmini­ster und erhält am Dienstag einen etwas eigenartig­en „Freiheitsp­reis der Medien“. In München, wo ProSiebenS­at.1 zu Hause ist. Ein guter Anlass, um etwas über die Mediensitu­ation in Ungarn und Slowenien, aber auch die Freiheit und nationale Bedeutung des ORF im Wettbewerb mit möglichst unabhängig­en Privatsend­ern zu sagen. Genau das alles wird er aber nicht tun. Wetten, dass …?

Peter Plaikner

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