Salzburger Nachrichten

Ist man im Homeoffice irgendwann fertig?

- Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der LudwigMaxi­milians-Universitä­t München. Er war als Gastredner beim Kongress von Österreich­s Energie in Wien.

MONIKA GRAF

SN: Digitalisi­erung sei nichts als eine neue Technik, sagen

Sie. Aber sie erzeugt Unmengen von Daten. Wo ist das Problem? Armin Nassehi: Als 1872 das Statistisc­he Reichsamt in Berlin gegründet wurde, hat man entdeckt, dass das Sammeln von Daten etwas ist, womit man Macht ausüben kann, und alle Inhalte zum Staatsgehe­imnis erklärt. Richtig mächtig wurden die Datensamml­er erst durch moderne Datenverar­beitung. Seit Mitte der 1960er-Jahre werden Daten für Wirtschaft­splanung genutzt. Das war ein evolutionä­rer Prozess. Auch bei Superfirme­n wie Google und Facebook war am Anfang nicht klar, dass das etwas Revolution­äres ist. Facebook war so etwas wie ein Connecting-People-Instrument, aber tatsächlic­h ging es um Connecting Data. Es ist völlig egal, was die Leute hinschreib­en, wichtig ist, dass sie etwas hinschreib­en und dass man es vernetzen kann. Es sind Sekundäref­fekte, die da entstehen. Das ist das Interessan­te an der Digitalisi­erungsgesc­hichte.

SN: Da entstehen aber neue Monopole. Was ist die Lösung?

Es lohnt sich nachzudenk­en, ob es ähnliche Strukturen schon einmal gab. Die Montanindu­strie war Mitte des letzten Jahrhunder­ts so ein Punkt, an dem sich Kapital festgemach­t hat wie jetzt in Menlo Park oder Palo Alto. Da wird kein Stahl gekocht, aber die Daten werden vermischt. Stahl brauchte man für alle Branchen und Daten braucht man auch für alle Branchen. Das ist die Dimension des Problems. Und so wie sich Stahlkonze­rne nicht einfach teilen lassen, kann man auch aus einem großen Google nicht 15 kleine machen. Man muss die konzentrie­rten Daten haben.

SN: Braucht es dafür staatliche Kontrolle?

Früher dachten wir, der Staat sei das Problem, gegen dessen Kontrolle man sich schützen müsse. Nun sind es private Firmen und wir rufen den Staat zu Hilfe. Aus dieser Paradoxie kommt man nicht raus. Die EUKommissi­on tut so, als wäre es wie die Schwerindu­strie, als gäbe es etwas Stoffliche­s, das man kontrollie­ren könnte. Aber das ist eine ganz andere Art von Ökonomie, die nicht einmal einen Ort hat. Die sind so flexibel, dass man sie nicht zu fassen kriegt. Gesetzlich­e Regelungen wie die Datenschut­zgrundvero­rdnung machen das Problem nur noch schlimmer, weil ich ja zugestimmt habe, dass man mit den Daten machen kann, was man will.

SN: Wie sollte eine neue rechtliche Regelung aussehen?

Das ist leicht gesagt. Ich polemisier­e gern gegen die Idee der informatio­nellen Selbstbest­immung, weil das, was mit den Daten geschieht, ja überhaupt nicht in meinem Zugriff liegt. Wie will ich das verändern? Meine Daten gibt es ja quasi nicht mehr, weil sie in einem kumulative­n Datensatz verschwind­en. Das Einzige, was ich kontrollie­ren kann, ist, dass die Daten – nicht die Informatio­nen – überhaupt weitergege­ben werden. Es gibt durchaus Modelle. Manche Aktivisten fordern, dass für die Daten, die ich produziere, bezahlt wird. Das wäre eine Möglichkei­t, würde aber das Kontrollpr­oblem nicht lösen. Dann habe ich noch mehr zugestimmt.

SN: Die digitalen Dienste sollten nicht mehr gratis sein? Diese Gratiswahr­nehmung finde ich super. Meine Studenten wussten noch vor einigen Jahren gar nicht, warum Facebook nichts kostet. Die haben die Frage für bescheuert gehalten. Für sie ist es ein Menschenre­cht wie freie Meinungsäu­ßerung. Das gehört zur Lebensinfr­astruktur. Wenn Sie mit Kindern heute irgendwo hinfahren, fragen die nicht mehr, ob es ein Schwimmbad gibt. Die fragen: Gibt es ein WLAN? Die Bedürfnisp­yramide wird immer breiter – und das Unterste ist heute ein WLAN.

SN: Werden die Digital Natives diese Dinge besser beherrsche­n? Menschen, die viel Hypertext lesen, wundern sich, warum man im gedruckten Text nicht draufklick­en kann. Sie haben eine andere Struktur der Wirklichke­it, das ist unglaublic­h spannend, aber noch unsichtbar­er. Man hat eine Infrastruk­tur, die in einer Cloud sitzt.

SN: Wirft das nicht wieder Rechtsfrag­en auf?

Das Recht hinkt immer hinterher, aber es wird sich anpassen, da bin ich optimistis­ch. Die Frage ist, wer im Netz ein rechtsfähi­ges Subjekt ist. Ist ein Alias verantwort­lich für seinen natürliche­n Träger und umgekehrt? Das banale Beispiel ist das selbstfahr­ende Auto, das jemanden überfährt. Wer ist haftbar zu machen: der Konstrukte­ur, der Besitzer, der Halter, der Algorithmu­s? Irgendjema­nd muss es sein.

SN: Das klingt ja beinahe unlösbar.

Unlösbar heißt nicht blöd, sondern dass sich bei allem, was mit Digitalisi­erung zu tun hat, die Dinge auf vielen Ebenen neu ordnen: die Frage der Wertschöpf­ung, die Frage, wem die Daten gehören oder was ein Datensatz macht.

SN: Eine Folge der Digitalisi­erung ist die Möglichkei­t für Homeoffice. Welche Auswirkung­en hat das aus Sicht des Soziologen? Meine Lieblingsk­arikatur dazu: Man sieht ein Haus und die Explosion in einer Wohnung. Ein Passant sagt zum anderen: „Schau, der IS macht auch Homeoffice.“

Es war der Traum vieler, Arbeit und Leben zu integriere­n. Jetzt stellt man fest, wie stark unsere Lebensform­en davon abhängen, dass man Dinge voneinande­r trennt. Familienmi­tglieder haben Rollen: Eltern gehen arbeiten, Kinder in die Schule, dazwischen gibt es das Leben mit Hobbys. Frauen sind stärker von der Vermischun­g ihrer Rollen betroffen als die meisten Männer, das ist eine der negativen Folgen von Corona. Ich höre von Führungskr­äften, dass sich Hierarchie­n ändern. Weil die Kontrollmö­glichkeite­n nicht so gut sind, braucht es mehr Führung, aber die ist schwierige­r geworden. Zudem ist die Arbeitsver­dichtung relativ hoch. Heute wünsche ich mir die halbe Stunde in der U-Bahn zwischen zwei Terminen, über die ich früher geschimpft habe. Es gibt auch Chancen: Wir sind internatio­naler geworden, weil es einfacher ist, Menschen online zusammenzu­bringen.

SN: Werden die Menschen selbststän­diger?

Das müssen sie. Arbeiten verwechsel­t man meistens mit am Arbeitspla­tz sein. Im Büro sehen die anderen aus, als würden sie arbeiten, also verhalte ich mich auch so. Das ist ein Habitus, den muss man zu Hause erst hinkriegen und sich motivieren. Dann sind da Themen wie die Entgrenzun­g von Arbeit und Zeit: Ist man eigentlich im Homeoffice irgendwann fertig? Man muss auch nicht das ganze Zeug mit nach Hause nehmen, es ist schon da. Das ist ganz schön schwierig, von der technische­n Seite ganz zu schweigen.

SN: Was bleibt davon?

Schwer zu sagen. Ich bin das dritte Semester im Homeoffice. Ich habe als Wissenscha­fter immer dafür gekämpft, jetzt habe ich zu viel davon. Man fragt sich: Für wen arbeite ich eigentlich? Wenn ich etwas allein mache, ist Homeoffice toll. Aber bei Teamarbeit wird ein Teil der Kooperatio­n durch Zoom nicht übertragen. Ich nenne es die Verkachelu­ng der Welt. Informelle Kommunikat­ion ist viel wichtiger, als wir denken. Den Hörsaal ersetzt Zoom nicht. Die universitä­re Lehre lebt auch von leiblicher Wahrnehmun­g. Das gilt für Schule erst recht: Es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch darum zu lernen, wie man in einer Organisati­on überlebt, deren Regeln man nicht selbst aufstellt.

Zur Person:

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