Höchstgericht schützt Kinder
Deutsche Richter stellen klar: Klimaschutz hat Verfassungsrang und ist einklagbar.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat gesprochen – und Fridays for Future waren fassungslos. Neun teilweise noch sehr junge Menschen hatten die Beschwerde eingebracht, der das Höchstgericht im wesentlichen Teil gefolgt ist. „Wir haben gewonnen“, jubelte Luisa Neubauer, Frontfrau von Fridays for Future in Deutschland, auf Twitter: Das erst 2020 beschlossene deutsche Klimagesetz ist in Teilen verfassungswidrig und muss nachgebessert werden, und das aus einem einfachen Grund.
Es droht, die Freiheitsrechte der jungen Generation erheblich einzuschränken. Ihr werde eine zu große Last für die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes aufgebürdet, der gegenwärtigen Generation eine zu geringe. Mindestens müsse man ab 2030 zusätzliche, konkrete Schritte festlegen, um die Emissionen zu reduzieren, erklärte das Gericht. Es legte damit auch aus, was das Klimaabkommen von Paris für Deutschland bedeutet: Es ist zu befolgen.
Je länger die Emissionsminderungen hinausgeschoben würden, desto drastischer müssten Maßnahmen und Restriktionen ausfallen – bis hin zu Eingriffen in die Grundrechte, argumentierten die Richter. Das sei nicht hinnehmbar.
Fazit: Ab jetzt hat der Klimaschutz in Deutschland Verfassungsrang und ist einklagbar. Von einem „fulminanten Beschluss“schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Das Höchstgericht „blicke mit den Augen junger Menschen ins Grundgesetz“. Dieser
Blick hat Folgen. Denn der Spruch aus Karlsruhe dürfte zu Veränderungen im täglichen Leben führen.
Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle könnten schneller als bisher geplant teurer werden. Ein konventionelles Auto zu fahren oder das Haus mit Öl und Gas zu heizen verursacht dann höhere Kosten. Als Ausgleich wird Strom eventuell billiger. Und der Kohleausstieg wird wohl früher als geplant kommen.
Das Klima als politisches Thema ist jedenfalls nicht mehr wegzudenken. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will in der Koalition aus CDU/CSU und SPD beraten, wie das Klimaschutzgesetz zu ändern ist. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat bereits Eckpunkte vorgelegt. Das Paket sieht unter anderem vor, dass sich Deutschland erstmals dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein. Nächste Woche soll geklärt werden, wie das Ziel auf einzelne Sektoren wie Verkehr, Energie oder Gebäude heruntergebrochen wird.
Die Grünen nennen eine Zahl, die die Kosten für die Haushalte und Firmen betrifft: 2023 solle der Ausstoß einer Tonne Treibhausgase nicht 35 Euro, wie derzeit geplant, kosten, sondern 60 Euro. In diese Richtung denkt auch die Organisation Agora Energiewende.
Das ist ein Punkt, der viele Menschen interessiert: Was ändert sich für mich? Weil ein wichtiges Werkzeug des Klimaschutzes der Emissionshandel ist, geht es darum, wie sich die Gebühren für Verschmutzungsrechte entwickeln. Derzeit ist eine Tonne CO2 für 25 Euro zu haben. Umgerechnet auf einen Liter Superbenzin an der Tankstelle macht das etwa sieben Cent, für einen Liter
Heizöl ebenfalls. Wer den KohlendioxidAusstoß senken will, muss den Preis erhöhen. Das, so das Konzept, biete den Anreiz, weniger fossile Energie zu verbrauchen. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben für alle einfach teurer wird. Die Koalitionsparteien wie auch die Grünen planen, die sogenannte EEG-Umlage, einen Bestandteil der Stromrechnung, zu senken und schließlich abzuschaffen. Im Idealfall gleichen sich höhere Emissions- und geringere Stromkosten aus.
Für die Beschäftigten der Braunkohleindustrie in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und die Belegschaften der Kohlekraftwerke könnten die Folgen dagegen einschneidender sein. Je schneller der CO2-Preis steigt, desto eher ist der Energieträger Kohle am Ende – und zwar nicht erst 2038, sondern deutlich früher. Dirk Messner, Chef des Berliner Umweltbundesamts, sprach vom „Kohleausstieg bis 2030“.
So oder so kommen enorme Veränderungen auf die Gesellschaft zu. Und der Beschluss des Verfassungsgerichts zeigt, dass das zügig gehen könnte. Möglicherweise ist schon in 20 Jahren quasi kein normales Auto mehr auf deutschen Straßen unterwegs. Gigantische Investitionen der Wirtschaft und des Staates wollen geplant und finanziert werden. Dieser Strukturwandel bringt Millionen neuer Arbeitsplätze, aber er vernichtet auch alte. Sehr viele Menschen müssen sich umstellen – im Alltag und im Berufsleben. Doch das Leben wird sauberer sein, grüner und leiser.
Die Gesellschaft wird anders aussehen als heute – damit die Welt für die nächsten Generationen bleibt, wie sie ist.