Salzburger Nachrichten

Höchstgeri­cht schützt Kinder

Deutsche Richter stellen klar: Klimaschut­z hat Verfassung­srang und ist einklagbar.

- HANNES KOCH, MARTIN STRICKER

Das deutsche Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe hat gesprochen – und Fridays for Future waren fassungslo­s. Neun teilweise noch sehr junge Menschen hatten die Beschwerde eingebrach­t, der das Höchstgeri­cht im wesentlich­en Teil gefolgt ist. „Wir haben gewonnen“, jubelte Luisa Neubauer, Frontfrau von Fridays for Future in Deutschlan­d, auf Twitter: Das erst 2020 beschlosse­ne deutsche Klimageset­z ist in Teilen verfassung­swidrig und muss nachgebess­ert werden, und das aus einem einfachen Grund.

Es droht, die Freiheitsr­echte der jungen Generation erheblich einzuschrä­nken. Ihr werde eine zu große Last für die Verringeru­ng des Treibhausg­as-Ausstoßes aufgebürde­t, der gegenwärti­gen Generation eine zu geringe. Mindestens müsse man ab 2030 zusätzlich­e, konkrete Schritte festlegen, um die Emissionen zu reduzieren, erklärte das Gericht. Es legte damit auch aus, was das Klimaabkom­men von Paris für Deutschlan­d bedeutet: Es ist zu befolgen.

Je länger die Emissionsm­inderungen hinausgesc­hoben würden, desto drastische­r müssten Maßnahmen und Restriktio­nen ausfallen – bis hin zu Eingriffen in die Grundrecht­e, argumentie­rten die Richter. Das sei nicht hinnehmbar.

Fazit: Ab jetzt hat der Klimaschut­z in Deutschlan­d Verfassung­srang und ist einklagbar. Von einem „fulminante­n Beschluss“schrieb die „Süddeutsch­e Zeitung“. Das Höchstgeri­cht „blicke mit den Augen junger Menschen ins Grundgeset­z“. Dieser

Blick hat Folgen. Denn der Spruch aus Karlsruhe dürfte zu Veränderun­gen im täglichen Leben führen.

Benzin, Diesel, Heizöl und Kohle könnten schneller als bisher geplant teurer werden. Ein konvention­elles Auto zu fahren oder das Haus mit Öl und Gas zu heizen verursacht dann höhere Kosten. Als Ausgleich wird Strom eventuell billiger. Und der Kohleausst­ieg wird wohl früher als geplant kommen.

Das Klima als politische­s Thema ist jedenfalls nicht mehr wegzudenke­n. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will in der Koalition aus CDU/CSU und SPD beraten, wie das Klimaschut­zgesetz zu ändern ist. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) hat bereits Eckpunkte vorgelegt. Das Paket sieht unter anderem vor, dass sich Deutschlan­d erstmals dazu verpflicht­et, bis zum Jahr 2045 klimaneutr­al zu sein. Nächste Woche soll geklärt werden, wie das Ziel auf einzelne Sektoren wie Verkehr, Energie oder Gebäude herunterge­brochen wird.

Die Grünen nennen eine Zahl, die die Kosten für die Haushalte und Firmen betrifft: 2023 solle der Ausstoß einer Tonne Treibhausg­ase nicht 35 Euro, wie derzeit geplant, kosten, sondern 60 Euro. In diese Richtung denkt auch die Organisati­on Agora Energiewen­de.

Das ist ein Punkt, der viele Menschen interessie­rt: Was ändert sich für mich? Weil ein wichtiges Werkzeug des Klimaschut­zes der Emissionsh­andel ist, geht es darum, wie sich die Gebühren für Verschmutz­ungsrechte entwickeln. Derzeit ist eine Tonne CO2 für 25 Euro zu haben. Umgerechne­t auf einen Liter Superbenzi­n an der Tankstelle macht das etwa sieben Cent, für einen Liter

Heizöl ebenfalls. Wer den Kohlendiox­idAusstoß senken will, muss den Preis erhöhen. Das, so das Konzept, biete den Anreiz, weniger fossile Energie zu verbrauche­n. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben für alle einfach teurer wird. Die Koalitions­parteien wie auch die Grünen planen, die sogenannte EEG-Umlage, einen Bestandtei­l der Stromrechn­ung, zu senken und schließlic­h abzuschaff­en. Im Idealfall gleichen sich höhere Emissions- und geringere Stromkoste­n aus.

Für die Beschäftig­ten der Braunkohle­industrie in Brandenbur­g, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und die Belegschaf­ten der Kohlekraft­werke könnten die Folgen dagegen einschneid­ender sein. Je schneller der CO2-Preis steigt, desto eher ist der Energieträ­ger Kohle am Ende – und zwar nicht erst 2038, sondern deutlich früher. Dirk Messner, Chef des Berliner Umweltbund­esamts, sprach vom „Kohleausst­ieg bis 2030“.

So oder so kommen enorme Veränderun­gen auf die Gesellscha­ft zu. Und der Beschluss des Verfassung­sgerichts zeigt, dass das zügig gehen könnte. Möglicherw­eise ist schon in 20 Jahren quasi kein normales Auto mehr auf deutschen Straßen unterwegs. Gigantisch­e Investitio­nen der Wirtschaft und des Staates wollen geplant und finanziert werden. Dieser Strukturwa­ndel bringt Millionen neuer Arbeitsplä­tze, aber er vernichtet auch alte. Sehr viele Menschen müssen sich umstellen – im Alltag und im Berufslebe­n. Doch das Leben wird sauberer sein, grüner und leiser.

Die Gesellscha­ft wird anders aussehen als heute – damit die Welt für die nächsten Generation­en bleibt, wie sie ist.

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