Braunschlags Ameisen
ICHmiste aus. Der nahende Umzug und der Gedanke an Dutzende sich stapelnde Kisten, die aus dem zweiten Stock der alten in den zweiten Stock der neuen Wohnung getragen werden müssen, erhöhen die Motivation, den Bestand zu verringern. Deshalb schleppe ich jetzt säckeweise Altkleider zum Caritas-Container und durchforste die Schubladen nach anderen Sinnlosigkeiten. Das Problem ist nur: Weggeben fällt mir leichter als wegschmeißen. Zumal ja vieles nicht kaputt, sondern schlichtweg nicht mehr in Verwendung ist.
Die Coronakrise hilft hier ein wenig: Denn kam an unserer Bleibe früher hin und wieder ein Passant vorbei, hat sich das Sträßlein nun bei vielen als Teilstück ihrer Pandemie-Lieblingsroute etabliert. So ziehen bei Sonnenschein ganze Ameisenkarawanen an Neospaziergängern vorbei. Und, wie ich bemerkt habe: Diese nehmen ameisengleich auch vieles mit, so man es nur vor die Tür stellt und richtig ausschildert. Bücher werden ebenso einkassiert wie CDs oder Kinderspielzeug: Vors Haus gestellt, „Zu verschenken“-Schild dran und zack: verschwunden.
Jüngst war beim Ausmisten der Spirituosen-Schrank an der Reihe. Neben einigen guten Tröpfchen, die wir lieber auf anderem Wege vernichten, blieben ein paar Getränke übrig, die ich – zumal noch nicht einmal angebrochen – ungern in den Abfluss geschüttet hätte. Aber halt ebenso ungern in den eigenen Rachen. Der Obstler von der Schwiegeroma eines lieben Kollegen wanderte erst einmal ins Desinfektionsfläschchen. Eine Flasche Billig-Vogelbeer aus Südtirol und eine Flasche Wodka kamen indes in die Verschenk-Kiste vor der Haustür. Dazu: die komplette Serie „Braunschlag“auf drei DVDs. (Sie wissen schon, diese Scheiben, die wir verwendeten, bevor Netflix erfunden wurde.)
Abends war nichts davon mehr da, nicht einmal die Schachtel.
Die Nachbarin im Erdgeschoß – die ebenfalls auszieht – hat sich der Aktion angeschlossen. Schüsseln, Gläser, Spiegel: Alles findet seinen Weg vor die Haustür – und dort Abnehmer. Das Problem dabei: Gar nicht so selten in meiner Person. Während ich marie-kondoesk fleißig Überzähliges aus meiner Wohnung trage, nehme ich beim Rückweg leider oft gleich wieder etwas mit. Gießkanne? Wie praktisch. Mundspülung: Warum nicht. Ein Servierteller? Kann man immer brauchen. In den Schränken ist ja jetzt auch wieder Platz dafür. Während ich also die Regale wieder einräume, denke ich daran, wie sich jemand andernorts in Salzburg gerade ein Gläschen Wodka einschenkt, über die Braunschlager Marienerscheinung lacht und den ganzen Coronawahnsinn dabei zumindest einen Abend lang vergisst.