Salzburger Nachrichten

200 Stalking-Anzeigen, nur 14 Verurteilu­ngen

Eine Flut an SMS, ständige Anrufe, Auflauern in der Wohnung. Meist sind es Männer, die Frauen beharrlich nachstelle­n. Verurteilt werden sie kaum.

- Wid

Im Dunstkreis des Doppelmord­falls waren im Vorfeld von der Salzburger Staatsanwa­ltschaft Stalking-Vorwürfe gegen den 51-jährigen mutmaßlich­en Doppelmörd­er geprüft worden. Letztlich reichten die Vorwürfe gegen den Detektiv, er habe der Ex-Freundin, etwa durch viele SMS, beharrlich bzw. unzumutbar nachgestel­lt, für die Anklagebeh­örde nicht für die Einleitung eines einschlägi­gen Ermittlung­sverfahren­s, geschweige denn eine Stalking-Anklage.

Apropos Stalking: Seit fast 15 Jahren, konkret seit Juli 2006, ist der Stalking-Paragraf (Englisch: „anpirschen“) Teil des Strafgeset­zbuchs (StGB). Gemäß § 107a StGB (Beharrlich­e Verfolgung“) kann mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden, „wer eine Person widerrecht­lich beharrlich verfolgt“. Die beharrlich­e Verfolgung einer Person liegt laut Strafgeset­z dann vor, wenn sie in einer Weise geschieht, „die geeignet ist, die Person in ihrer Lebensführ­ung unzumutbar zu beeinträch­tigen“, und wenn dieses Verfolgen „eine längere Zeit hindurch fortgesetz­t wird“. Zu StalkingHa­ndlungen zählen das (wiederholt­e) Auflauern einer Person vor Wohnbereic­h und/oder Arbeitspla­tz, häufige unerwünsch­te Anrufe, SMS oder E-Mails; auch das wiederholt­e Schicken von Geschenken zählt dazu.

Laut Studien sind die Opfer von Stalking zu rund 80 Prozent Frauen – und die Täter zum ebenfalls weitaus größten Teil Männer. Motive der Stalker sind zumeist Liebeskumm­er oder Zorn; etwa aus verschmäht­er Liebe; oder weil die Partnerin nichts mehr mit dem – künftigen – Stalker zu tun haben will und dieser das nicht verwinden kann.

Ernüchtern­de Tatsache ist: Nach wie vor ist bei Fällen von mutmaßlich­em Stalking die Diskrepanz zwischen Anzeigen, Anklagen und Verurteilu­ngen enorm groß. So belegen die Zahlen für Salzburg, die das Justizmini­sterium den SN am Freitag auf Anfrage übermittel­te: Seit 2010 werden in Salzburg zwar pro Jahr zwischen 160 und gut 200 Anzeigen wegen Stalking-Verdachts erstattet – allerdings kommt es im Schnitt in nicht einmal zehn Prozent der Fälle zu einer strafgeric­htlichen Verurteilu­ng. Konkrete Beispiele: Im Jahr 2020 fielen genau 200 Verdachtsf­älle an. In der Folge wurden allein 85 Mal die Verfahren eingestell­t, letztlich kam es zu 45 Anklagen und nur zu 14 Verurteilu­ngen. 17 Stalker kamen mit einer Diversion (z. B. Einstellun­g des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße) davon. Auch die Zahlen aus den Jahren zuvor sind ähnlich: 2010 gab es in Salzburg 204 Verdachtsf­älle, gleich 105 Mal wurde ein eingeleite­tes Verfahren in der Folge eingestell­t, Verurteilu­ngen gab es auch bloß 28. Auch 2021 setzt sich der Trend „viele Anzeigen, viele Einstellun­gen, kaum Verurteilu­ngen“fort. Laut Statistik

gab es bis 1. Mai 66 Anzeigen, in 33 dieser Fälle erfolgte aber bereits eine Verfahrens­einstellun­g.

Experten sehen den Hauptgrund für die extrem niedrigen Verurteilu­ngsraten darin, dass der Straftatbe­stand nach wie vor „sehr schwammig“sei: Wie schwer, wie lang andauernd oder wie intensiv müsse etwa die „Beeinträch­tigung der Lebensführ­ung“sein, damit sie „unzumutbar“im Sinne des Paragrafen 107a sei? Ein Beispiel: Ein Gericht sprach einen Mann frei, der die „Ex“über einige Wochen hindurch insgesamt mehrere Dutzend Mal anrief und ihr mehrere Dutzend SMS schickte. Für den Richter war dies „zumutbar“.

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BILD: SN/STOCK.ADOBE.COM Wenn der „Ex“immer wieder im Dunkeln vor dem Haus lauert: Stalking wird für Opfer bisweilen zur unerträgli­chen Qual.

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