Missbrauchte Macht, fehlende Alternativen
Ist’s Galgenhumor? Bloße Chuzpe? Oder gar ernst gemeint? Ausgerechnet die ÖVP bat am Freitag zu einer Pressekonferenz zum Thema „SPÖ versinkt immer tiefer im SkandalSumpf“. Nun trifft es ja zu, dass es auch im SPÖ-Umfeld eine Reihe von aufklärungswürdigen Vorfällen gibt, etwa rund um die Pleite der Commerzialbank Mattersburg. Es trifft auch zu, dass die SPÖ das Postenschachern mindestens so gut beherrscht wie die ÖVP, mit dem Unterschied, dass sich führende Sozialdemokraten bisher nicht beim Austausch peinlicher Handynachrichten erwischen ließen. Die gekünstelte Empörung der skandalgeschüttelten ÖVP über die Skandale der SPÖ hat also einen realen Kern.
Und dennoch: Derzeit ist es die ÖVP, deren Spitzenpersonal in seinem Machtrausch die Grenzen der Verfassung aufs Äußerste ausreizt. Derzeit ist es die ÖVP, die das Parlament, den Bundespräsidenten und Verfassungsgerichtshof als lästiges Hindernis bei der Machtausübung betrachtet. Derzeit ist es die ÖVP, die einen Kleinkrieg gegen wichtige Staatsorgane führt. Und das in einer krisenhaften Zeit, die nur mit einer moralisch gefestigten Regierung und reibungslos kooperierenden Staatsorganen gemeistert werden kann.
Stellt sich die Frage der Alternativen: Die SPÖ, die, wenn sie die Gelegenheit hat, ebenso machtbesessen ist wie die ÖVP? Die FPÖ, deren jüngste Regierungsbeteiligung im IbizaSumpf endete? Allein mit den Grünen und den Neos wird’s wohl aus wahlarithmetischen Gründen nicht gehen. Nicht nur die Wirtschaft und die Gesellschaft, auch die Politik braucht dringend einen Neustart. Und zwar in moralischer Hinsicht.