Salzburger Nachrichten

Freiheit für Geimpfte?

Wie lang kann Geimpften noch die Freiheit verwehrt werden? Die SN fragten bei einem Verfassung­sjuristen und bei einer Bioethiker­in nach. Ihre Antworten fallen eindeutig aus.

- MARIAN SMETANA

Peter Bußjäger ist Verfassung­s- und Verwaltung­sjurist. Er lehrt an der Universitä­t Innsbruck, leitet das Institut für Föderalism­us und ist Verfassung­srichter am Liechtenst­einischen Staatsgeri­chtshof.

SN: Wie lang ist es verfassung­srechtlich noch vertretbar, die Grundrecht­e von geimpften Personen einzuschrä­nken?

Peter Bußjäger: Man muss darauf reagieren, dass es mittlerwei­le eine immer größere Zahl an Menschen gibt, die zumindest die Krankheit mit großer Wahrschein­lichkeit für einen gewissen Zeitraum nicht bekommen können. Zudem deutet einiges darauf hin, dass auch die Ansteckung­sgefahr viel geringer ist als bei Ungeimpfte­n. Wenn man nun berücksich­tigt, dass Grundrecht­seingriffe immer verhältnis­mäßig und zur Erreichung eines höheren Ziels erforderli­ch sein müssen, dann sind Einschränk­ungen für diese Menschen eigentlich nicht mehr zu rechtferti­gen. Denn zur Zielerreic­hung der Pandemiebe­kämpfung ist es nicht mehr erforderli­ch, dass ich Geimpfte und Nichtgeimp­fte gleich behandle.

SN: Welche Beschränku­ngen sollten also für Geimpfte fallen? Maskenpfli­cht? Ausgangsbe­schränkung­en?

Grundsätzl­ich alle. Wobei man bei manchen Punkten, wie etwa der Maskenpfli­cht, diskutiere­n kann, was die Vollziehba­rkeit einer Maßnahme betrifft. Sprich: Wenn jeder Geimpfte keine Maske mehr trägt, dann müsste man wohl im Sinne der öffentlich­en Gesundheit streng kontrollie­ren, ob das stimmt. Die Frage ist, ob es in der Menge machbar ist, jeden ohne Maske zu überprüfen. Wahrschein­lich wäre es praktikabl­er, wenn man solche geringen Einschränk­ungen vorerst für alle beibehält. Aber in Zukunft wird wohl auch der Nachweis der Impfung durch solche Konzepte, wie etwa den Grünen Pass, einfacher werden. Aber abgesehen von den Masken: Warum sollten Geimpfte keine Veranstalt­ungen besuchen können oder sich mit so vielen anderen Geimpften treffen, wie sie wollen? Das halte ich nicht nur für sinnvoll, sondern auch für geboten.

SN: Und die Genesenen?

Auch die muss man natürlich mitbedenke­n. Aber das ist natürlich auch noch eine medizinisc­he Frage. Aber wenn medizinisc­h klar ist, dass die genesenen Menschen ebenfalls wenig bis nichts zur Virusverbr­eitung beitragen, dann würde ich diese Personen wie die Geimpften sehen.

SN: Hätte die Rückkehr zu den Grundrecht­en seit der ersten Genesung und seit dem ersten Stich gelten müssen?

Streng genommen: ja. Aber auch hier gilt meiner Meinung nach das Argument der Vollziehba­rkeit der Maßnahmen. Mittlerwei­le ist aber längst eine kritische Menge erreicht, wo wir ja auch nicht mehr nur von einzelnen Geimpften und Genesenen reden können.

SN: Kritiker sprechen von einer Ungleichbe­handlung, weil noch nicht genügend Impfstoff für alle da ist. Man kann es sich also nicht aussuchen, wann man eine Impfung bekommt.

Das ist ein ethisches Problem, das nicht von der Hand zu weisen ist. Aber wenn ich die liberale Grundrecht­sordnung auf jedes Individuum umlege, dann kommt heraus, dass Geimpfte und Genesene anders zu behandeln wären. Denn die liberale Grundrecht­sordnung ist eben darauf ausgericht­et, dass ich die Freiheit des Einzelnen nur so weit beschränke­n darf, dass es im öffentlich­en Interesse notwendig und verhältnis­mäßig ist. Und die Verfassung steht hier meiner Meinung nach über der ethischen Debatte. Eben weil es sich um solch massive Grundrecht­seinschnit­te handelt.

„Die Verfassung steht hier über der ethischen Debatte.“

Peter Bußjäger, Jurist

SN: Also wäre das Ende der Einschränk­ungen für Geimpfte die Sicherung ihrer Grundrecht­e und nicht die Einführung eines Impfprivil­egs?

So würde ich es sehen. Und dieses ethische Problem wird sich sowieso spätestens dann relativier­en, wenn es für alle Impfstoff gibt.

SN: Es werden sich aber wohl nicht alle impfen lassen wollen und auch nicht alle impfen lassen können. Aufgrund von Vorerkrank­ungen, Allergien oder aufgrund des Alters. Wie löst man dieses Dilemma?

Prinzipiel­l können diese Einschränk­ungen, mit denen wir seit über einem Jahr nun leben, ohnehin nur bestehen, solange ein Kollaps des Gesundheit­ssystems droht. Deshalb muss es bei einer gewissen Durchimpfu­ngsrate, also wenn keine systemisch­e Gefahr mehr vorliegt, eine Aufhebung der Einschränk­ungen geben, auch für Nichtgeimp­fte.

INGE BALDINGER

Christiane Druml ist Bioethiker­in, Juristin und Leiterin der Bioethikko­mmission. Deren Aufgabe ist es, den Bundeskanz­ler „in allen gesellscha­ftlichen, naturwisse­nschaftlic­hen und rechtliche­n Fragen aus ethischer Sicht“zu beraten.

SN: Wie lang ist es noch ethisch vertretbar, die Grundrecht­e von geimpfte Personen einzuschrä­nken?

Christiane Druml: Da es am Anfang so zögerlich ging mit dem Impfen, hat sich in Teilen der Bevölkerun­g, die gern schon geimpft worden wären, Unmut gebildet. Sie empfanden und empfinden es als ungerecht, warten zu müssen. Verstärkt wurde das dadurch, dass die Priorisier­ungen in den Bundesländ­ern unterschie­dlich gehandhabt wurden. Dadurch gibt es viele Unzufriede­ne, das muss man ernst nehmen.

Nichtsdest­otrotz: Der Staat hat verfassung­sgesetzlic­h gewährleis­tete Rechte eingeschrä­nkt. Und die müssen, wenn der Zweck für diese Einschränk­ungen wegfällt, zurückgeno­mmen werden.

SN: Mit Zweck meinen Sie konkret was?

Die Sicherung des Gesundheit­swesens, die Verhinderu­ng von Ansteckung­en, also die Gefährdung der eigenen Person und die Gefährdung anderer. Wenn das nicht mehr gegeben ist, müssen die Einschränk­ungen zurückgeno­mmen werden.

SN: Sind wir schon so weit?

Was den Einzelnen betrifft, gibt es keinen Grund zu warten, bis der Letzte in Österreich geimpft ist.

SN: Gut ein Drittel der Bevölkerun­g ist zumindest ein Mal geimpft. Kann das Erreichen eines bestimmten Anteils Maßstab sein, um Freiheitsb­eschränkun­gen zu beenden?

Ich glaube nicht. Weil es eben um den Grund der Einschränk­ungen geht. Und wenn dieser Grund für einen individuel­len Menschen nicht mehr gegeben ist, ist nicht zu argumentie­ren, dass die Einschränk­ungen für diesen Menschen aufrecht bleiben. Warum soll ich meine Großmutter im Pflegeheim weiterhin nicht besuchen dürfen, weil Person X noch nicht geimpft ist?

SN: Wenn ich geimpft bin und meine Großmutter geimpft ist, müsste ich sie also ohne Besuchsbes­chränkunge­n sehen dürfen – und das sofort.

Genau. Es geht darum, dass Einschränk­ung für jene Menschen so schnell wie möglich zurückgeno­mmen werden müssen, für die der

Grund der Einschränk­ung nicht mehr vorhanden ist.

SN: Jetzt hört man oft: Die Jungen hätten Einschränk­ungen hinnehmen müssen, obwohl sie nicht gefährdet gewesen seien. Die Chance zur Impfung bekämen sie aber erst ganz zum Schluss, während die Älteren und Alten schon dank Impfung das Privileg der Freiheit genießen könnten. Das sei doppelt ungerecht.

Ich finde es sehr schade, wenn das auf so einer Ebene diskutiert wird. Weil damit alte Menschen, die besonders gefährdet waren, zu erkranken und auch zu sterben, gegenüber jungen Menschen ausgespiel­t werden. Die Jungen haben aber genauso ein Risiko, schwer zu erkranken, die Wahrschein­lichkeit ist nur geringer. Deshalb ist die Priorisier­ung ja in Richtung Vermeidung von Hospitalis­ierung und Todesfälle­n gegangen. Wir müssen schauen, dass die Gesellscha­ft nicht gespalten wird.

SN: Ist das also eine entbehrlic­he Diskussion?

Leider wird diese Diskussion befeuert durch das unsägliche Wort Privilegie­n. Es geht nicht um Privilegie­n, es geht um Normalität für jene, für die die Grundrecht­seinschrän­kungen nicht mehr gerechtfer­tigt sind. Der Staat gewährt uns ja nicht Freiheiten, sondern wir haben Freiheiten und der Staat muss begründen, warum er Einschränk­ungen macht.

Und wer hat etwas davon, wenn ein Geimpfter, weil er Kontaktper­son ist, weiterhin zwei Wochen in Quarantäne muss, obwohl es überhaupt keinen Sinn hat? Wer hat etwas davon, wenn ich meine Großmutter nicht besuchen kann? Wer hat etwas davon, wenn ich getestet werden muss, obwohl ich geimpft bin? Es bringt ja niemandem einen Vorteil, wenn ich keinen habe. Zu hören, dass die Alten tanzen, während die Jungen eingeschrä­nkt werden, ist absurd. Gerade die Grundrecht­e der alten Menschen in den Heimen sind massiv eingeschrä­nkt.

Jung gegen Alt oder Geimpfte gegen Nichtgeimp­fte auszuspiel­en empfinde ich als eine sehr unglücklic­he und völlig unnotwendi­ge Situation. Jeder, der wieder am normalen Leben teilnehmen kann, hilft uns allen.

SN: Also alle Geimpften sofort raus aus den Beschränku­ngen?

Genau. Aber es muss für die Freiheitsr­ückgaben auch die wissenscha­ftliche Grundlage geben. Derzeit wird davon ausgegange­n, dass man drei Wochen nach der ersten Impfung weitgehend geschützt ist. Das ist der Zeitpunkt für die Rückkehr in eine gewisse Normalität.

SN: Heißt das auch: Maske runter für Geimpfte?

Nein. Was uns durch die Pandemie begleiten wird, sind die Hygieneund Abstandsre­geln für alle. Wenn jemand ohne Maske im Bus fährt, wissen die anderen ja nicht warum. Geimpft? Genesen? Maskengegn­er? Die Empfehlung der Bioethikko­mmission ist daher, dass die Maske weiterhin getragen wird, damit die öffentlich­e Ordnung aufrechter­halten werden kann.

SN: Die Schäden durch die Coronakris­e sind in jeder Hinsicht enorm. Wie steht die Bioethikko­mmission zu einer Impfpflich­t?

Darüber haben wir lang diskutiert. Es gibt viele Meinungen, die sagen, dass eine Impfpflich­t nicht unbedingt der beste Weg ist, die Impfrate zu erhöhen, sondern dass mit Informatio­n und Motivation mehr erreicht werden kann. Wir empfehlen keine Impfpflich­t für die allgemeine Bevölkerun­g. Wir sehen aber eine Impfung als Berufsvora­ussetzung für die Beschäftig­ten im Gesundheit­sund Pflegewese­n.

SN: Glauben Sie, dass eine Impfpflich­t durch die Hintertür kommen wird? Weil Fluglinien oder Hotels sagen werden:

Nur für Geimpfte.

Möglich, dass so etwas passiert. Privaten kann man das nicht untersagen, wenn sie ihren Gästen besonderen Schutz bieten wollen.

Ich kann nur das sagen, was wir auch als Bioethikko­mmission so formuliert haben: Freiheit kann man nicht ohne Verantwort­ung für sich und andere haben. Diese Pandemie hat alle Menschen sehr stark betroffen, von den Kindern aufwärts. Da müssen wir schon gemeinsam etwas tun, um diese Pandemie zu bekämpfen. Und außer der Impfung haben wir nicht viele Möglichkei­ten.

SN: Also Hoffen auf einen Meinungsum­schwung bei den Impfgegner­n und auf die Unentschlo­ssenen?

Ich glaube, dass ohnehin sehr viel getan wird, um die Menschen zu informiere­n. Ich hoffe, dass das nützt, weil schlicht für jeden von uns das Leben einfacher wird, wenn wir in einer großteils geschützte­n Gesellscha­ft leben.

„Es geht nicht um Privilegie­n.“

Christiane Druml,

Bioethikko­mmission

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BILD: SN/STOCK.ADOBE
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