Wo bleibt der kollektive Aufschrei der Männer?
Gewalt an Frauen mag zwar hinter verschlossenen Türen stattfinden, doch das patriarchale Weltbild ist überall anzutreffen.
Es ist eine zutiefst traurige Zeit für alle Frauen, aber auch für alle Männer in diesem Land. Denn Femizide betreffen uns alle. Innerhalb von vier Monaten wurden elf Frauen getötet. Sie mussten sterben, weil sie Opfer von männlicher Gewalt wurden. In keinem anderen EU-Land werden mehr Frauen als Männer umgebracht. Ein besorgniserregendes Alleinstellungsmerkmal. Die große Frage ist nun: Woran liegt das? Die Erklärung, dass hierzulande weniger Männer durch Bandenkriminalität sterben, ist nur ein Teil der Wahrheit. Es bleibt die Tatsache, dass es inmitten unserer Gesellschaft Männer gibt, die Frauen umbringen.
Männliche Gewalt ist eine unsichtbare Gefahr, die jede Frau treffen kann. Und ja – vereinzelt leiden auch Männer unter häuslicher Gewalt. Doch letztendlich sind es fast ausschließlich männliche Täter, die ihre Partnerinnen, Mütter und Töchter verprügeln, strangulieren und töten. Sind Männer also von Grund auf gewaltbereiter als Frauen? Nein. Gewalt wird gelernt, nicht angeboren.
Das fängt schon im Kindergartenalter an. Viele Buben lernen immer noch, dass sie mit Gewalt Probleme lösen können. Kein Wunder, wenn sie später in Beziehungen zu Gewalt neigen. Mädchen hingegen lernen immer noch, dass sie schön brav und leise bleiben sollen. Kein Wunder, wenn sie sich später nicht aus gewaltvollen Beziehungen lösen können.
Die Politik will mehr Beratungsangebote für aggressive Männer schaffen. Das ist richtig und wichtig, jedoch wissen die Expertinnen und Experten aus der Praxis, dass die Männer in der Regel nicht von allein in die Beratung kommen, man muss sie dazu zwingen. Überraschend ist das nicht. Es ist in unserer Gesellschaft immer noch verpönt, Schwäche zu zeigen, besonders als Mann. Die Österreicherinnen und Österreicher sprechen nicht gerne übers Scheitern, das haben wir noch nie gekonnt. Doch wer nie lernt, mit Misserfolg, Unglück und Zurückweisung umzugehen, entwickelt keine Verarbeitungsmechanismen – die teils fatalen Folgen sind bekannt.
Neben den politischen Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen braucht es auch die Initiative von jeder und jedem Einzelnen. In den sozialen Netzwerken bringen derzeit vor allem Frauen ihr Entsetzen zum Ausdruck, doch auch ein kollektiver Aufschrei der Männerwelt wäre hilfreich.
Man kann sich darauf hinausreden, dass Gewalt an Frauen vor allem ein Problem von gewissen sozialen oder ethnischen Kreisen ist. Solche Diskussionen bringen uns jedoch nicht wirklich weiter. Die Gewalt an Frauen mag zwar hinter verschlossenen Türen stattfinden, doch das patriarchale Weltbild, das dahintersteckt, ist überall anzutreffen: in der Schule, im Sportverein, am Arbeitsplatz. Und oft sogar im eigenen Freundeskreis.
Es braucht deshalb ein Bündel an Maßnahmen, die auf allen Ebenen ansetzen: bei der Prävention, bei den Strafen, aber vor allem bei grundlegenden gesellschaftlichen Werten.