Salzburger Nachrichten

Gewalt an Frauen: Welche Rolle spielt die Erziehung?

Die beiden getöteten Frauen in Wals-Siezenheim sind der zehnte und elfte Frauenmord in Österreich seit Beginn des Jahres. Die SN fragten eine Expertin, was sich in unserer Gesellscha­ft ändern muss.

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SN: Welche Rolle spielt die Erziehung, wenn aus Männern Gewalttäte­r werden?

Birgit Bütow: Es ist nicht nur eine Erziehungs­frage, es ist eine Frage der Erziehungs­verantwort­ung von Männern und Vätern. In der Praxis wird Erziehung viel zu häufig mit den Müttern assoziiert. Aber Mütter UND Väter haben die Kinder. Und wenn die Väter abwesend sind, etwa weil sie Vollzeit arbeiten, dann ist klar, dass da Lücken entstehen. Dann fehlen den Buben die Rollenvorb­ilder. Dazu kommt, dass Gewalt in der Familie ein ganz großes Tabuthema ist. Wer schaut da schon genau hin? Es bräuchte da einen klaren Schwenk der Gesellscha­ft hin zur Gewaltlosi­gkeit.

SN: Ist es hilfreich, wenn zum Beispiel in Salzburg die „gewaltfrei­e Stadt“ausgerufen wird?

Es ist nicht schlecht, wenn sich die Politik dafür starkmacht, aber es muss auch authentisc­h bleiben. In der Politik wird so oft ausgegrenz­t, es gibt viele Kleinkrieg­e, Konkurrenz und Korruption – die Zeitungen sind täglich voll davon. Leider bleibt es an den Familien hängen, sich um Erziehung zu kümmern, aber Gewalt ist ein strukturel­les Problem.

SN: Wie meinen Sie das genau?

Die Frage ist: Wo kommt die Gewalt her? Einerseits geht es da um Geschlecht­errollen und anderersei­ts um Ungleichve­rhältnisse – ökonomisch­e Abhängigke­it, Diskrimini­erung und Ausgrenzun­g sind alles Faktoren, die Gewalt begünstige­n und legitimier­en.

SN: Was ist mit Gewalt in den Geschlecht­errollen?

Was ist da prägender, die Herkunftsf­amilie oder die Gesellscha­ft?

Das ist schwer zu sagen. Ob man Gewalt als Teil der Männlichke­it sieht, das kann unbewusst passieren, in den ersten Lebensjahr­en, oder erst im Jugendalte­r, wo sich Männlichke­itsmuster herausbild­en. Was prägender war, kann man eigentlich nur im Einzelfall genau beurteilen. Jugendlich­e Straftäter haben meistens

Gewalterfa­hrungen in der Familie gemacht: Missachtun­g von Bedürfniss­en, Vertrauens­brüche.

SN: Wo fängt man an, wenn man Geschlecht­errollen ohne Gewalt will?

Mit der Erziehung. Aber das funktionie­rt nur so weit, wie die Gesellscha­ft es akzeptiert, dass sich Männer anders verhalten oder eine andere Rolle ausprobier­en dürfen.

Wenn sich junge Mädchen einen starken Mann wünschen, wo sollen dann einfühlsam­e Partner herkommen? Auch die zu wenig starke Rolle der Frauen ist ein Problem. Das nur an den Männern festzumach­en, halte ich für schwierig.

SN: Es braucht also ein gesellscha­ftliches Umdenken. Wo setzt man da an?

In der Schule müsste viel mehr passieren, die Schulsozia­larbeit kommt zu kurz. Es geht darum, wie sicher eine Stadt nachts für Frauen ist, um geschlecht­ergerechte Stadtgesta­ltung. Wo können Frauen oder Kinder hin, wenn ihnen in der Öffentlich­keit etwas passiert? Zum Beispiel zum Busfahrer? Es braucht möglichst viele Orte und Möglichkei­ten, an denen Gewaltfrei­heit ein Thema ist.

SN: Auch im Sport?

Unbedingt auch in Sportverei­nen. Es stimmt, Buben und auch Mädchen lernen dort Regeln. Aber Sport hat natürlich auch ein aggressive­s Moment, im Mannschaft­ssport wird zum Beispiel gefoult. Und es kommt zu vielen sexuellen Übergriffe­n.

SN: Dazu kommt das Tabu der Homosexual­ität, zum Beispiel im Profifußba­ll …

Ja genau. Homosexual­ität gilt noch immer als unmännlich. Es hat Verbesseru­ngen gegeben, aber viele Coming-out-Geschichte­n sind immer noch schwierig. Die HoSi (Homosexuel­leninitiat­ive) wüsste da sicher viel zu erzählen. Wobei wir wieder bei der strukturel­len Gewalt sind, bei der gesellscha­ftlichen Hierarchie, in der Frauen unter den Männern stehen. Und ganz unten steht die schwarze, lesbische, behinderte Frau.

„Gewalt ist ein strukturel­les Problem.“

Zur Person

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BILD: SN/MARB Die Bestürzung und die Trauer in Wals-Siezenheim sind groß: Kerzen und Blumen am Tatort erinnern an die Bluttat in der Nacht auf Donnerstag, bei der ein 51-jähriger Mann zwei Frauen erschossen hat.
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Uni Salzburg
Birgit Bütow, Uni Salzburg

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