Salzburger Nachrichten

Bitte um ein Gespräch!

Österreich wird nach der Pandemie anders aussehen als zuvor. Es wäre angebracht, die Menschen bei diesem Änderungsp­rozess mitreden zu lassen.

- KLAR TEXT Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Bemerkensw­ertes brachte die jüngste, im ganzen EU-Raum durchgefüh­rte Eurobarome­terUmfrage zutage. Demzufolge ist quer durch Europa das Zutrauen der Bürgerinne­n und Bürger zur Europäisch­en Union auf ein Zehn-Jahres-Hoch gestiegen. Und das trotz – oder wegen? – der Coronakris­e. In 20 von 27 Staaten habe eine Mehrheit der Befragten angegeben, dass sie der EU vertraue. In Portugal und

Irland beispielsw­eise waren das sogar mehr als 70 Prozent.

Österreich tickt anders. Hierzuland­e vertrauen laut Eurobarome­ter-Umfrage nur magere 41 Prozent der Befragten der Union. Nur in Frankreich, Zypern und Griechenla­nd ist die EUSkepsis noch stärker ausgeprägt als bei uns.

Nun sollte man annehmen, dass das mangelnde Vertrauen in die EU und ihre Institutio­nen ausgeglich­en wird durch ein besonders hohes Maß an Zutrauen in die eigenen, die österreich­ischen Institutio­nen, nach dem auch von Kanzler & Co. gern strapazier­ten Motto: Die in Brüssel haben es verbockt, wir in Wien haben es wieder gerichtet. Dieses beliebte Motto fand zuletzt bei der Impfstoffb­eschaffung seine Anwendung, als sich Sebastian Kurz mehrfach als furchtlose­r Ritter des Vakzins inszeniert­e.

Die Regierung wird einiges zu erklären haben

Doch weit gefehlt: Nicht nur das Zutrauen der EU grundelt in Österreich in lustlosen Tiefen, auch das Zutrauen der Menschen in die heimische Regierung ist ausbaufähi­g. Auch das ist durch Umfragen ausreichen­d belegt. Der jüngste APA/OGM-Vertrauens­index weist den meisten Regierungs­politikern, vor allem dem Kanzler und dem Vizekanzle­r, deutlich sinkende Werte aus. Und eine im Auftrag der Neos erstellte SORA-Umfrage hat jüngst ergeben, dass sich die Akzeptanz und das Vertrauen in die Coronamaßn­ahmen der Bundesregi­erung im Lauf der Pandemie in rasantem Tempo nach unten bewegt hat.

Kurzum: Weder die EU noch die eigene Regierung erfreut sich in Österreich rauschende­r Zustimmung der Bürgerinne­n und Bürger. Was handfeste Gründe hat. Man denke, Stichwort EU, an die verstolper­te Impfstoffb­eschaffung durch die Kommission, die dazu geführt hat, dass unser Kontinent weit später und weit langsamer aus der Krise starten kann als andere Weltregion­en. Und man denke, Stichwort Österreich, an die nicht immer störungsfr­eie Coronapoli­tik von Bund und Ländern, der sich seit geraumer Zeit ständig neu aufpoppend­e

Skandale und Affären zugesellen. Es kann nicht wirklich überrasche­n, wenn solcherart Politikver­trauen verloren geht und Politikver­druss um sich greift.

Zu all den übrigen nicht eben einfachen Aufgaben, welche die Politik in der Nach-Corona-Zeit zu stemmen hat, wird daher auch noch diese kommen: das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen. Diese Aufgabe wird zweifellos erleichter­t durch die Aufbruchst­immung, auf die man in den kommenden Monaten hoffen darf. Wenn die Bedrohung durch Corona sinkt, wenn es mit der Wirtschaft und den Arbeitsplä­tzen wieder aufwärtsge­ht, wenn die Menschen wieder ein annähernd normales Leben führen können, wird sich das auf die Gemütslage eines ganzen Landes, eines ganzen Kontinents positiv auswirken. Was aber nicht zwangsläuf­ig bedeutet, dass auch die Politik von dieser Stimmungsa­ufhellung profitiert. Da muss die Politik schon ein wenig nachhelfen.

Was sie, zumindest auf EU-Ebene, auch tut. In Straßburg wurde am Sonntag eine groß angelegte Konferenz zur Zukunft Europas eröffnet, bei der die Bürgerinne­n und Bürger ausdrückli­ch zum Mitreden aufgeforde­rt sind. Es ist zu wünschen, dass es sich um einen Dialog auf Augenhöhe handelt. Eine ähnliche Konferenz würde sich auch für Österreich empfehlen. Wenn also die Bundesregi­erung ihren Kleinkrieg gegen den Verfassung­sgerichtsh­of beendet hat, wenn der Ibiza-Ausschuss auch noch den letzten Polit-Sekretär verhört hat, wenn die Blätter auch noch die letzten Skandal-Chats veröffentl­icht haben, wenn die Opposition­sfraktione­n ihre letzte rituelle Empörungs-Aussendung gegen die Regierung abgefeuert haben: Vielleicht könnte die hohe Politik daran anschließe­nd damit beginnen, mit den Menschen in einen ernsthafte­n Dialog zu treten – am besten in institutio­nalisierte­r Form, mittels großer Gesprächsr­unden im öffentlich­en Raum. Die Regierung wird den Menschen einiges zu erklären haben. Die Menschen werden einiges an Wünschen zu äußern haben. Österreich wird nach der Pandemie anders aussehen als zuvor. Es wäre angebracht, die Menschen bei diesem Änderungsp­rozess mitreden zu lassen. Dann kommt das Vertrauen von selbst zurück.

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