Bitte um ein Gespräch!
Österreich wird nach der Pandemie anders aussehen als zuvor. Es wäre angebracht, die Menschen bei diesem Änderungsprozess mitreden zu lassen.
Bemerkenswertes brachte die jüngste, im ganzen EU-Raum durchgeführte EurobarometerUmfrage zutage. Demzufolge ist quer durch Europa das Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger zur Europäischen Union auf ein Zehn-Jahres-Hoch gestiegen. Und das trotz – oder wegen? – der Coronakrise. In 20 von 27 Staaten habe eine Mehrheit der Befragten angegeben, dass sie der EU vertraue. In Portugal und
Irland beispielsweise waren das sogar mehr als 70 Prozent.
Österreich tickt anders. Hierzulande vertrauen laut Eurobarometer-Umfrage nur magere 41 Prozent der Befragten der Union. Nur in Frankreich, Zypern und Griechenland ist die EUSkepsis noch stärker ausgeprägt als bei uns.
Nun sollte man annehmen, dass das mangelnde Vertrauen in die EU und ihre Institutionen ausgeglichen wird durch ein besonders hohes Maß an Zutrauen in die eigenen, die österreichischen Institutionen, nach dem auch von Kanzler & Co. gern strapazierten Motto: Die in Brüssel haben es verbockt, wir in Wien haben es wieder gerichtet. Dieses beliebte Motto fand zuletzt bei der Impfstoffbeschaffung seine Anwendung, als sich Sebastian Kurz mehrfach als furchtloser Ritter des Vakzins inszenierte.
Die Regierung wird einiges zu erklären haben
Doch weit gefehlt: Nicht nur das Zutrauen der EU grundelt in Österreich in lustlosen Tiefen, auch das Zutrauen der Menschen in die heimische Regierung ist ausbaufähig. Auch das ist durch Umfragen ausreichend belegt. Der jüngste APA/OGM-Vertrauensindex weist den meisten Regierungspolitikern, vor allem dem Kanzler und dem Vizekanzler, deutlich sinkende Werte aus. Und eine im Auftrag der Neos erstellte SORA-Umfrage hat jüngst ergeben, dass sich die Akzeptanz und das Vertrauen in die Coronamaßnahmen der Bundesregierung im Lauf der Pandemie in rasantem Tempo nach unten bewegt hat.
Kurzum: Weder die EU noch die eigene Regierung erfreut sich in Österreich rauschender Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger. Was handfeste Gründe hat. Man denke, Stichwort EU, an die verstolperte Impfstoffbeschaffung durch die Kommission, die dazu geführt hat, dass unser Kontinent weit später und weit langsamer aus der Krise starten kann als andere Weltregionen. Und man denke, Stichwort Österreich, an die nicht immer störungsfreie Coronapolitik von Bund und Ländern, der sich seit geraumer Zeit ständig neu aufpoppende
Skandale und Affären zugesellen. Es kann nicht wirklich überraschen, wenn solcherart Politikvertrauen verloren geht und Politikverdruss um sich greift.
Zu all den übrigen nicht eben einfachen Aufgaben, welche die Politik in der Nach-Corona-Zeit zu stemmen hat, wird daher auch noch diese kommen: das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen. Diese Aufgabe wird zweifellos erleichtert durch die Aufbruchstimmung, auf die man in den kommenden Monaten hoffen darf. Wenn die Bedrohung durch Corona sinkt, wenn es mit der Wirtschaft und den Arbeitsplätzen wieder aufwärtsgeht, wenn die Menschen wieder ein annähernd normales Leben führen können, wird sich das auf die Gemütslage eines ganzen Landes, eines ganzen Kontinents positiv auswirken. Was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch die Politik von dieser Stimmungsaufhellung profitiert. Da muss die Politik schon ein wenig nachhelfen.
Was sie, zumindest auf EU-Ebene, auch tut. In Straßburg wurde am Sonntag eine groß angelegte Konferenz zur Zukunft Europas eröffnet, bei der die Bürgerinnen und Bürger ausdrücklich zum Mitreden aufgefordert sind. Es ist zu wünschen, dass es sich um einen Dialog auf Augenhöhe handelt. Eine ähnliche Konferenz würde sich auch für Österreich empfehlen. Wenn also die Bundesregierung ihren Kleinkrieg gegen den Verfassungsgerichtshof beendet hat, wenn der Ibiza-Ausschuss auch noch den letzten Polit-Sekretär verhört hat, wenn die Blätter auch noch die letzten Skandal-Chats veröffentlicht haben, wenn die Oppositionsfraktionen ihre letzte rituelle Empörungs-Aussendung gegen die Regierung abgefeuert haben: Vielleicht könnte die hohe Politik daran anschließend damit beginnen, mit den Menschen in einen ernsthaften Dialog zu treten – am besten in institutionalisierter Form, mittels großer Gesprächsrunden im öffentlichen Raum. Die Regierung wird den Menschen einiges zu erklären haben. Die Menschen werden einiges an Wünschen zu äußern haben. Österreich wird nach der Pandemie anders aussehen als zuvor. Es wäre angebracht, die Menschen bei diesem Änderungsprozess mitreden zu lassen. Dann kommt das Vertrauen von selbst zurück.